Ein heißes Eisen…

… packe ich heute an – und zwar hört es auf den Namen Kinski.

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Kinski – die Leinwandlegende. Rebell & Provokateur. Obsessiv, intensiv, sinister, diabolisch, maßlos und wild. Genie oder Wahnsinn? Sein filmisches Erbe ist legendär – vor allem die Klassiker, die er zusammen mit Werner Herzog drehte, der ihm ein filmisches Denkmal setzte, unter anderem auch mit seiner Dokumentation „Mein liebster Feind“. Filmliebhaber verehrten ihn, jenen Verrückten und Irren für seine brachiale Präsenz, für die Faszination, die seine Abgründigkeit ausstrahlte. Und doch ist seit einigen Jahren Jahren sein Erbe – befleckt, vorsichtig ausgedrückt.

Pola Kinski bezichtigte ihren Vater des jahrelangen Missbrauchs – in aller Ausführlichkeit in ihrem Buch „Kindermund“ niedergeschrieben (siehe z.b. hier). Der Name orientiert sich vermutlich an seiner Autobiographie „Ich bin so wild nach Deinem Erdbeermund“, in der er bereits vom Sex mit seiner Mutter, seiner Schwester, Minderjährigen phantasiert. Phantasiert? Man weiß es nicht – ernst genommen hat man es, hat man ihn damals nicht. Seine Brüder haben seine und somit ihre Familie verteidigt. Seine Tochter Nastassja wehrte sich öffentlich gegen Missbrauchsunterstellungen seinerseits – und räumt mittlerweile ein, dass er sie zwar nie vergewaltigt hätte, sie aber deutlich zu oft berührt hätte.

Diese Enthüllungen über Kinski sind – erschreckend. Ist es doch mit das Schlimmste, was einem widerfahren kann, was Pola Kinski schildert: Missbrauch, physischen und psychischen, und auch noch durch den eigenen Vater, 14 Jahre lang bis zu ihrem 19. Lebensjahr.

„Die Fans Klaus Kinskis haben ein Monster vergöttert. Das Böse, das er als Leinwandstar nur spielte, wird nachträglich beglaubigt durch seine Niedertracht im wahren Leben“ – der Untertitel zu einem Spiegelartikel, der „Klaus Kinski – Das Böse bleibt“ heißt. Ein Tyrann ist er gewesen, ein Narziss, ein Psychopath, vielleicht ein Soziopath. Unfähig, zwischenmenschliche Bindungen einzugehen. Immun gegen Mitleid. Ein mehr als ausgeprägter Egomane, mit mehr als einem Hang zur Brutalität, der, ja… über Leichen ging. Seelenleichen zumindest.

Mich persönlich hat Pola Kinskis Offenbarung erschüttert, tief. Weil ich eben auch einer jener Filmliebhaber bin, der sich in der Intensität von Kinskis Filmen verlieren konnte. Authentisch und wahrhaftig – viel mehr als mir lieb war, wie ich jetzt sagen muss.

Mittlerweile weiß ich selbst nicht mehr, wie ich zu den Filmen stehen soll, die ich alle gesehen und geliebt habe: Aguirre – Der Zorn Gottes, Fitzcarraldo, Woyzeck, Cobra Verde, Nosferatu… ich habe sie seitdem nicht mehr gesehen. Auch die Dokumentation, die großartige, nicht, die die Hassliebe zwischen Herzog und Kinski schildert. Eingeborene hatten Herzog sogar während des Drehs von Fitzcarraldo angeboten, Kinski zu ermorden – weil er wie ein Wahnsinniger, der er war, tobte, alle zermürbte. Hier ein Beispiel aus der Dokumentation – nicht gestellt:

Der Vergleich mit diesem Ausraster lässt selbst die Riege der aktuell wesensverwandten Promis – man denke nur an Charlie Sheen oder Mel Gibson – mit ihren Amokattacken wie ein freundlicher Kinderchor dastehen.

Und dann endete Herzogs – im übrigen trotz allem sehr sehenswerte – Dokumentation: Kinski, der Sanfte, mit einem Schmetterling, wie ihn Herzog gerne in Erinnerung behalten würde. Bitte schaut hinein:

In dieser Erinnerung kann man Kinski nicht mehr behalten. Man kann nirgendwo mehr in diesem Mann das Zarte suchen, das haltlose Kind, den Verlorenen, den Gehetzten, den Suchenden. Das hinterlässt eine Leere – und macht mich traurig, weil ich weiß, dass ich die Filme nie mehr genießen können werde mit dem heutigen Wissen.

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Diese Worte musste ich loswerden, bevor ich den Duft besprechen kann, der Kinski gewidmet ist, gewidmet wurde – vor Bekanntwerden der Geschichte von Pola Kinski. Peter Geyer, Leiter der Kinski Productions und Verwalter von Kinskis Erbe, setzte sich damals mit Geza Schön zusammen, um Kinski, der für ihn „ein extravaganter nonkonformistischer Denker“ war, eine olfaktorische Hommage zu erschaffen. Die Zutaten für diesen Duft sollen eine Reflexion von Kinskis Lebensstil darstellen, so Geza Schön: „Klaus Kinski war übertrieben, überschwänglich, verdorben, dennoch sinnlich. Ich dachte an etwas Animalisches, Verruchtes, aber auch an etwas Sauberes, Unschuldiges. Ein Duft, so ambivalent wie Kinskis Persönlichkeit. War er ein Genie oder einfach nur verrückt?“

Ich möchte jetzt nicht noch einmal davon anfangen, dass ich „verdorben“ und „sinnlich“ in diesem Kontext eigentlich nicht mehr ertragen kann… deshalb versuche ich mich etwas freizumachen, den Duft neutraler zu testen, wenn möglich. Die Ingredienzen: Kopfnote: Cannabis, Aldehyde, Bergamotte, Wacholder; Herznote: Muskatnuss, Rose, Magnolie, Maritime Noten, Hedione, Castoreum; Basisnote: Patchouli, Vetiver, Zedernholz, Styraxharz, Benzoeharz, Labdanum (Zistrose), Wildleder, Moschus, Ambra.

Kinski nun ist einer jener Düfte, bei denen ich kaum einen Duftverlauf ausmachen kann – er ist da, in geballter Kraft und Form und ähnelt hierin vermutlich seinem Vorbild. Ansonsten weiß ich nicht, ob ich mir Kinski so vorstellen würde, vorgestellt hätte… Ein aldehydig-maritim anmutender kühler Hipster mit einer ordentlichen Portion Wacholder und einem herb-rauchigen, leicht salzigen Vetiverherzen. Frisch und gleichzeitig ledrig – hier in Kinski kein Gegensatz. Erdig, harzig und dennoch hell. Eindeutig eher maskulin, aber kein Macho, nein. Eher – unnahbar. Metallisch. Und unvorhersehbar kantig. Insofern entdecke ich hier durchaus den Künstler in dem Duft – ob es nun Kinski ist oder nicht? Mhhmm. Vielleicht muss man das auch für sich entscheiden. Genauso, ob man dem Duft eine Chance gibt trotz des Namens.

Viele liebe Grüße,

Eure Ulrike.

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Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

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