In vino veritas

„Im Wein liegt die Wahrheit“ heißt es so schön, wie Uli uns diese Woche ja ebenfalls schon belehrt hat, auch wenn der österreichische Schriftsteller und Journalist Moritz Gottlieb Saphir in seinem Buch „Nachtschatten der Zeit und des Lebens“ bemerkt: „Der Wein und die Wahrheit sind nur insofern ähnlich, als dass man mit ihnen anstößt.“ Ganz wunderbar würde jetzt ein Zitat passen, dass ich vor kurzem gefunden habe, aber Urheber und genauer Wortlaut sind mir leider entfallen und auf die Schnelle nun auch unauffindbar. Aber so ungefähr lautete es: „Wein und Parfum haben eines gemeinsam – beides ist nur in Maßen erträglich.“ Auch hierin steckt ein Körnchen Wahrheit! 🙂

Doch die Gemeinsamkeiten zwischen Wein und Parfum reichen weit über die mengenmäßige Aufnahme beziehungsweise das Auftragen hinaus. Auch was den Fachjargon und die Aromen angeht, gibt es Überschneidungen. So verwundert es nicht, dass berühmte Wein- und Cognacfabrikanten wie Ginestet, Frapin oder Courvoisier nebenbei auch noch Duftwässerchen auf den Markt bringen. Der Luxuscognac-Hersteller Courvoisier lancierte etwa im Jahre 2007 das von Alexis Dadier kreierte Eau de Parfum L’Édition Impériale. Ginestet folgte im Jahre 2008 mit drei Düften.

Im Jahre 1897 von Ferdinand Ginestet in Bordeaux gegründet, ist das traditionsreiche Unternehmen, im Gegensatz zu Courvoisier und Frapin, die beide Cognacbrennereien sind, voll und ganz auf Wein spezialisiert. So sind die drei Düfte allesamt von verschiedenen Weinsorten inspiriert und diesen nachempfunden: Sauvignonne erinnert mit einen spritzig-fruchtigen Sauvignon Blanc, Le Boisé an einen vollmundig-würzigen, im Barrique ausgebauten Rotwein und Botrytis an den süßen Edelwein Sauternes.

Die Weinlese findet von September bis November statt, je nach Traubensorte und Lage des Weinbergs, ist also momentan voll im Gange. Und welcher der eben genannten Düfte passt zum goldenen Oktober wie die Faust auf’s Auge? Na, klar: Botrytis, das güldene Eau de Toilette mit dem zungenbrecherischen Namen, der mich persönlich ganz stark an die griechische Mythologie erinnert. Ohne weiteres könnte ich mir etwa einen Satyr gleichen Namens vorstellen; eines jener Mischwesen aus Mensch und Huftier mit Pferdeschweif und –hufen, die zum Gefolge des Dionysos gehörten, der bekanntlich ja der Gott des Weines, der Freude und der Fruchtbarkeit ist. Zufälle gibt es! 🙂

Und doch hat der Ginestetsche Duft seinen Namen von einem ganz anderen Gesellen, der von Mystik und Mythologie weiter nicht entfernt sein könnte: Botrytis cinerea – ein Schimmelpilz, der auch Grauschimmel oder Edelfäulepilz genannt wird. Dieser Schimmelpilz mit dem klangvollen Namen ist in der Auswahl seiner Beute nicht wählerisch, befällt er doch mehr als 200 verschiedene Pflanzenarten. Nur bei einer einzigen Wirtspflanze, nämlich der Weintraube, kann aus dem Befall aus unserer Sicht etwas Positives entstehen. Natürlich ist für den Pilz jeder Befall einer Pflanze Grund zum Feiern, kann er doch dadurch wachsen, gedeihen und, was das Wichtigste für Pflanze, Tier und Schimmelpilz ist: er kann sich vermehren. Die befallene Pflanze kriegt dagegen den Schwarzen Peter zugeschoben, denn, wie es halt so ist mit Parasit und Wirt, der Pilz lebt voll und ganz auf ihre Kosten und sie hat nichts davon. 🙁

Auch der Befall von Weintrauben mit Botrytis cinerea ist nicht unbedingt ein Segen für den Winzer. Befällt der Schimmelpilz nämlich unreife Weintrauben, ist die gesamte Ernte im Eimer. Nur beim Befall von reifen Trauben (in Kombination mit einer bestimmten Wetterlage) entsteht die sogenannte Edelfäule, die für einen höheren Zuckergehalt in den Weintrauben verantwortlich ist. Schon der Saft aus Edelfäuletrauben besitzt eine andere Farbe und ein deutlich anderes Aroma als der Saft aus nicht befallenen Trauben der gleichen Sorte: viel süßer, ja beinahe honigartig. Das Edelfäule-Bukett oder Botrytiston, wie es auch genannt wird, wird bei Gourmets hoch geschätzt. Besonders hochwertige Edelsüßweine stammen aus der Sauternes im Umland von Bordeaux, aber auch deutsche Mosel- und Rheingauweine sind nicht zu verachten. Die ganze Sache mit der Edelfäule ist allerdings ein sehr risikoreiches Unterfangen. Wie schon erwähnt, befällt der Pilz die Trauben zu früh, ist die ganz Ernte unbrauchbar, außerdem ist der Anbau insgesamt sehr aufwändig, die Ernte generell sehr gering, die Preise für ein erstklassiges Fläschchen Edelsüßwein entsprechend hoch.

Im Weinbaugebiet Sauternes sind die klimatischen und geographischen Bedingungen für einen Befall mit der Edelfäule zum richtigen Reifezeitpunkt beinahe ideal. Die letzten Jahre ohne Edelfäule waren 1978 und 1985. Man kann also schon fast von einem sehr zuverlässigen Edelsüßweinanbaugebiet sprechen. Da Ginestet auch in dieser Region beheimatet ist, gibt es natürlich auch in ihrem Sortiment einen edelsüßen Sauternes, in dessen Degustationsrezesionen folgendes vermerkt ist:

This wine presents very brilliant gold tints. Complex and rich, the nose is full of white flowers (acacia), white pulp fruits (quince) and toasted and grilled notes.

Eine goldene Farbe, komplex, reich, duftend nach weißen Blüten und Früchten wie Quitten, außerdem geröstete und gegrillte Aromen. Eine Beschreibung, die den Duftnoten von Botrytis nicht unähnlich ist: Kandierte Früchte, Quitte, Traube, Weiße Blüten, Honig, Honigkuchen, Ambra.

Nachdem die Zeilenzahl schon so weit fortgeschritten ist, komme ich nun schnell zum Testen! Papier und Haut zeigen deutliche Unterschiede, daher folgt eine getrennte Analyse. Zuerst der Teststreifen: Auf diesem beginnt Botrytis sehr, sehr süß und gourmandig, mit deutlichen Honignoten und fruchtigen Tendenzen, denen aber jegliche Spritzigkeit und Frische fehlen, weshalb ich sie den kandierten Früchten zuweisen würde. Im weiteren Verlauf wird der Duft weicher, cremiger und floraler, die Honignoten und eine zuckrige Süße sind aber nach wie vor dominant. Diese Kombination aus Honigsüße und Cremigkeit erinnert mich ganz stark an den Duft brennender Bienenwachskerzen. Nach und nach gewinnt der Duft an Tiefe, bleibt aber insgesamt gesehen (und überraschenderweise) eher ein Leichtgewicht.

Die Haut: Hier zeigt sich Botrytis zu allererst von seiner süß-likörigen Seite, wobei die Betonung hier eindeutig auf den Likörnoten liegt, wird schnell weicher und cremiger. Die weißen Blüten sind herausschnupperbar, aber sehr dezent. Unter allem schwebt eine subtile Honignote. Der Duft ist sehr zart, sehr transparent und weniger süß als auf dem Teststreifen. Außerdem meine ich Mandelnoten zu entdecken. Im weiteren Verlauf schleichen sich Gewürze hinein, möglicherweise dem Lebkuchen geschuldet, während Ambra, sehr hell, sehr leicht, die duftende Honigkomposition auf ein weich-warmes Lager mit deutlichen Vanilleanklängen führt.

Ein wunderschöner Kuschelduft für die kalte Jahreszeit! Allerdings möchte ich eine Warnung aussprechen: Der Duft macht Appetit! Zumindest bei mir. Während des Testens habe ich mehrmals die Küche aufgesucht, weil mich süße Gelüste gepackt hatten. In Zeiten von Plätzchen & Co. kann sich das verheerend auswirken! 😉

Süße Grüße sendet Euch,

Eure Stephanie.

Bildquelle: Sauternes von Olivier Aumage und Botrytis auf Riesling von Tom Maack – some rights reserved. Vielen lieben Dank!

Neueste Kommentare

Julia Biró Verfasst von:

Bereits 2010 gingen so einige Blogbeiträge auf mein Konto. Dann war ich „kurz“ weg – sechs Jahre. Umso mehr freut es mich, dass ich nun wieder die Chance bekomme, mein Näschen im Dienste der Duftrezension schnuppern zu lassen und eifrig in die Tasten zu hauen. Was Nischendüfte angeht, habe ich damals übrigens schnell Feuer gefangen. Meine Ausbildung tat dazu ihr Übriges: Als diplomierte Biologin kenne ich mich nicht nur mit Fauna und Flora, sondern auch recht gut mit der Herstellung von Ölen und Extrakten aus, was den Reiz der Parfumwelt natürlich noch größer macht.

4 Kommentare

  1. Jutta L.
    29. Oktober 2010
    Antworten

    Hallo Stephanie,

    vielen Dank für den schönen Sauternes Artikel! ;o)
    Sauternes ist einer meiner Lieblingsweine, wenn er gut gemacht ist, da gibt es ja muffig-pappsüss komplett säurefreie und stinklangweilige Ausgaben und andererseits Weine, die grandios schmecken und duften. Wie gestern schon bei Uli erwähnt, suche ich noch einen Duft, der letzteres einfängt. Botrytis schafft es nicht, finde ich – ist aber trotzdem ein sehr schöner Duft.

    Lieben Gruss
    Jutta L.

  2. Margot
    29. Oktober 2010
    Antworten

    Liebe Stephanie,

    ja, ja, Wein, Parfum und die Nase!
    Bei mir hat der Botrytis leider einen negativen Eindruck hinterlassen. Sehr süß ja, und der Schimmelpilz in voller Montur präsent (wie ein vergessener Pfirsich in der Plastiktüte) GAR NICHTS für mich! Und auch bei den Weinen laß ich die Finger von Muskat, Eiswein, Auslese usw. Da sind mir die trockenen, herben Gesellen lieber 🙂
    Aber: Hab wieder viel gelernt aus Deinem Artikel!

    Viele Grüße und ein schönes Wochenende,
    Margot

    • Ulrike
      29. Oktober 2010
      Antworten

      Hach, ICH liebe ja den Botrytis, obgleich er eigentlich viel zu süß für mein Beuteschema ist 🙂 Ich trage ihn im Winter sowas von gerne im Bett, um ehrlich zu sein 😀
      Riecht für mich wie goldener Herbst in Frankreich *schwärm*

  3. Almut
    30. Oktober 2010
    Antworten

    botrytis, ich liebe diesen duft. speziell jetzt im herbst. er passt so wunderbar zu den goldenen farben des herbstes. ein kuschelduft auf voller linie!

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