Die Klarheit des Geistes – She Came to Stay von Timothy Han / Edition …

… bildet den Abschluss unserer Serie – drei Düfte, drei Rezensionen. Und lauter literarische Schwergewichte: Yukio Mishimas The Decay of an Angel sowie Jack Kerouacs On the Road hatte ich Euch bereits vorgestellt, mit etwas Verspätung folgt nun außer der Reihe statt Freitagslektüre ein Artikel von mir zur Mitte der Woche – und zwar mit Simone de Beauvoir. Auf deren Roman Sie kam und blieb hebt Timothy Han mit seinem letzten Duft She Came to Stay ab, den wir uns heute näher ansehen.

Die Inspiration zum Duft – Simone de Beauvoir & ihr Roman

L’Invitée ist der Originaltitel des besagten Romans, der Simone de Beauvoirs Erstling war. Für ihr Umfeld war es klar, dass es stark autobiographisch geprägt war, das erschloss sich „dem Rest“ aber erst, als die Briefwechsel von Beauvoir und Sartre nach deren Tod veröffentlicht wurden.

Die beiden waren – ein Liebespaar. Und zudem ein äußerst modernes, möchte man meinen. In Zeiten, in denen mir manchmal der Kopf schwirrt bei den unterschiedlichen Ausprägungen von Sexualität, über die man so stolpert (pan-, poly-, sapio- und was sonst noch so alles sexuell, siehe unter anderem hier), und in denen man sich fragt, ob jetzt das klassische Beziehungsmodell (für mich: zwei Menschen egal welchen Geschlechts, die in sich lieben, mal mehr und mal weniger, und in einer exklusiven Paarbeziehung stehen) schwieriger ist oder die anderen Konzepte, die es so gibt, wirken Beauvoir und Sartre zumindest äußerst zeitgemäß. Will sagen – sie waren damals schon progressiv. Oder haben es zumindest laut ausgesprochen, dass sie in ihrer gegenseitigen Beziehung die Kernbeziehung sehen, jene, wie Beauvoir verlauten ließ, „notwendige Liebe“, aber beide frei sind, andere Parallelbeziehungen zu führen. Das hat, überflüssig zu erwähnen, mal besser und mal schlechter funktioniert.

Simone de Beauvoir and Jean-Paul Sartre attended the ceremony of 6th Anniversary of Founding of Communist China in Beijing on 1 October 1955 in Tiananmen square.

Beauvoir ist die neunte Frau überhaupt, die an der Sorbonne Philosophie studiert – nur einer ist besser als sie, Sartre. Die beiden haben bis zu seinem Tod 1980 eine Beziehung, die vor allem intellektuell geprägt ist. Gleich und gleich gesellt sich gern, Geist und Geist ebenfalls. Sie konnten wohl nicht ohne einander, vermutlich waren sie vielleicht so etwas wie „Seelenverwandte“ oder doch zumindest gab es ein sehr starkes Band, das beide verband.

Hier ein kleines, eher witziges Filmchen über Beauvoir:

Der Roman – eine verhängnisvolle Ménage-à-trois

Wir befinden uns in Paris, und zwar im Umfeld der intellektuellen Bohème. Im Mittelpunkt
stehen die Schriftstellerin Françoise Miquel, eine schillernde Schönheit der literarischen Szene Frankreichs, sowie Pierre Labousse, Regisseur und Schauspieler. Die beiden haben eine Beziehung, die auf große Ehrlichkeit und Vertrauen, gleichermaßen auf sexuelle Freiheit begründet ist, was vor allem Pierres Affären angeht. Diese Konstruktion wird ins Wanken gebracht durch Xavière Pages, eine junge Frau vom Land, die von Françoise aufgenommen wird und toxisch wirkt auf die Beziehung der beiden. Françoise wird zur Rivalin, sieht sich in diese Rolle gedrängt und es … lest es selbst, das Buch 😉

„Ich will versuchen, ihr klar zu machen, sagte sie, dass du nicht etwa ein Mann zwischen zwei Frauen bist, sondern dass wir drei zusammen etwas ganz Besonderes darstellen, etwas, was vielleicht schwierig ist, aber sehr schön und glücklich werden könnte.“ – Françoise zu Pierre

Olga Kosakiewicz war die Vorlage für Xavière. Und es folgten noch weitere Olgas im Leben von Beauvoir und Sartre. Falls Ihr jetzt denkt, „die arme Frau“ – nein. „Das Trio“, eines mit wechselnder dritter Besetzung, war ein wesentlicher Teil der Beziehung zwischen Beauvoir und Sartre, die vor allem auf Kosten der dritten Person ging. Hier könnt Ihr einen Artikel zu dem Beziehungsgeflecht lesen, das Sartre und Beauvoir um sich herum und zwischen sich spannten. Auf derselben Webseite gibt es eine schöne Zusammenfassung an kleinen Details über Beauvoir, die Ihr Euch auch noch ansehen könntet – seht hier. War Beauvoir lesbisch oder bisexuell? Nun ja, jein 😉 Alice Schwarzer hat sie unter anderem in diesem Interview dezidiert dazu befragt, lest hier.

She Came to Stay

„Dies ist die zweite Edition des preisgekrönten Debüt-Dufts von Timothy Han / Edition, mit allen neuen Kunstwerken des Künstlers Kirtland Ash aus Los Angeles.

Das Parfum wurde vom gleichnamigen Existentialismus-Roman „Sie kam und blieb“ von Simone de Beauvoir aus dem Jahr 1947 inspiriert. Ein Unisexparfüm, das die sich entwickelnde Natur unseres Selbstgefühls in einer Welt an der Schwelle des Wandels widerspiegelt.

She Came to Stay fängt die Individualität unseres Geistes ein und verwandelt sich in einen andauernden Ausdruck, der sich von allen Konventionen befreit und einen Weg in einen Duft bahnt, den die Kritiker als „wunderbar süchtig machend“ bezeichnet haben. Ein betörender Duft, der sich der Persönlichkeit des Trägers anpasst. Sie werden feststellen, dass er auf Sie reagiert und auch von Tag zu Tag leicht verändert erscheinen kann. Geben Sie ihm Zeit, sich auf Ihrer Haut zu entfalten, und erlauben Sie ihm, Ihre persönliche Geschichte zu erzählen.“

Kopfnote: Geranium, Basilikum, Zitrone; Herznote: Gewürznelke, Muskatnuss; Basisnote: Patchouli, Vetiver, Labdanum (Zistrose), Eichenmoos, Zedernholz.

Es gibt zu She came to Stay auch ein Video von Timothy Han / Edition:

She Came to Stay

„SHE CAME TO STAY is a dark short film inspired by both the novel of the same name by Simone de Beauvoir and sponsored by the award-winning perfume created by TIMOTHY HAN / EDITION. The film challenges the notions of traditional perfume shorts by questioning the notion of contrived beauty and love through a voyeuristic view of the toxic love that exists between two female lovers played by Elena Saurel and Alice Fernandez.

This standalone cinematic short is an artistic interpretation of the novel between the director Kate Cox and the director of photography Ann Evelin Lawford which explores a relationship bordering on obsession through the blurring boundaries of time and memory.

The director Kate Cox says: Using the novel as a starting point I wanted to explore the facets of a relationship verging on obsession. The character of Elena is half in the present and half in her memories of Alice. Some are nostalgic and some darker. The line between what is ‚real time‘ and what is imagined or in the past becomes blurred – the mirror, a sort of conduit between these two worlds that exist in different moments of time.“

Timothy Han challenged Kate Cox to create a short film inspired by the same novel which inspired his debut fragrance. He says: We have always been about working with and supporting our friends in the creative fields. I believe that in allowing them creative freedom, we can truly begin to push the boundaries of convention to create something new and exciting. This short film is a case in point. Perfume advertisements tend to be these overly glamourized shoots that bear no connection to the lives we lead. I wanted something grittier and more real which somehow still shows the beauty in the banal. At the same time, it had to stand on its own as an artistic statement without being tied to the brand.“

Toxische Beziehung, Obsession – die Ansage von Han finde ich spannend, dass er keine glatte Glamourwelt zeigen wollte wie in der meisten Werbung zu Kosmetikprodukten und Düften üblich, sondern etwas dunkleres, etwas, dass realistischer wirkt und dennoch Schönheit selbst im Alltäglichen, Gewohnten, Herkömmlichen zeigt.

… meine Katze Mini hat die nicht gefunden 😀 Sie hat fluchtartig mein heimisches Büro verlassen, nachdem ich soeben den Duft aufgesprüht hatte 😉

She Came to Stay ist – unisex. Der Duft beginnt mit der Ingredienz, die auch im weiteren Verlauf im Mittelpunkt stehen wird, zumindest auf meiner Haut – mit Geranium. Einem minzigen, krautigen, würzigen Geranium, das aber überraschenderweise zwar kühle Akzente offenbart, aber warm daherkommt. Gewärmt von Gewürznelken, die im Zusammenspiel mit Muskatnuss eine süß-scharf-pfeffrige Würzigkeit entwickeln. Atmosphärisch fühle ich mich an ein Gewächshaus erinnert oder besser noch einen Kräutergarten, der von der Sonne des Tages erhitzt wurde und jetzt in der Nacht vor sich hin brütet, in dessen hinteren, stark verwachsenen Ecken sich darüber hinaus Pflanzen finden, wild und ungestüm, die man noch nie gesehen hat … Wie so oft wirken die beiden, Gewürznelke und Muskat, auf eine Weise dumpf, sie hüllen ein, beschweren in dem Sinne, dass sie keine olfaktorischen Leichtgewichter sind, den Duft nicht transparenter, luftiger erscheinen lassen, ganz im Gegenteil. Zwischendurch blitzt immer wieder etwas Metallisches hindurch, darüber hinaus meine ich, ein paar schüchtern-fruchtige Röslein zu entdecken, die aber, kaum habe ich sie vernommen, wieder Geschichte sind. Angeleuchtet wird dieses dunkle, erdige, grün-braun anmutende Spektakel von Zitrusfrische, die gekonnt die Schwere des Nelken-Muskat-Duos durchbricht. Während ich noch darüber sinniere, ob ich nun Leder wahrnehme oder nicht, gesellen sich Rauchschwaden dazu, mal kühl und kantig, später auch mitunter warm, aber immer noch mit mentholischer Minzfrische im Gepäck.

She Came to Stay merkt man die natürlichen Ingredienzen deutlich an. Er ist ein rauer und kantiger, aber dennoch harmonischer Geselle, ein erdig-kräuteriger mit einer feinen Tiefe und durchaus komplex. Wer D.S. & Durga mag, der wird hiermit ganz bestimmt nichts verkehrt machen.

Und …? Neugierig geworden? Ist ein Duft dabei, den Ihr testen müsst in der Timothy Han / Edition?

Einen schönen Tag noch und alles Liebe

Eure Ulrike

Neueste Kommentare

Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

Schreibe den ersten Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert