Die Linde…

… ist kulturhistorisch ein ziemlich gewichtiges, weil sehr bedeutsames Gewächs: Sie gilt als Baum der germanischen Göttin Freya, obgleich dies nie zweifelsfrei belegt wurde, und war den Germanen deshalb heilig genauso wie im übrigen diversen slawischen Völkern. In Mitteleuropa hatten viele Dörfer ihre Dorflinde als zentralen Punkt: Hier traf man sich und sprach, schäkerte, stritt und flirtete, man tanzte im Mai um den Baum und hielt dort Feste ab, aber man saß auch darunter zu Gericht. Laut Wiki findet sich die Linde alleine in Deutschland über 850 mal in den Namen von Orten oder Ortsteilen, selbst Leipzig leitet sich vom sorbischen Wort Lipsk ab und heißt übersetzt Linden-Ort.

Diverse Künstler und Schriftsteller nahmen sich den Baum als Vorbild und schufen Werke, die ihm huldigten: Franz Alfred Muths Die einsame Linde und Franz Schuberts vertonter Lindenbaum, das Volkslied „Kein schöner Land“ besingt die Linde ebenfalls. Hinzu kommen noch drei Gedichte, die mir wirklich sofort eingefallen sind: Zwei davon, weil sie von mir lieben Dichtern stammen, nämlich die von Friedrich Rückert und Joseph von Eichendorff. Und als drittes noch eines von Friedrich Schnack, einem eher weniger bekannten deutschen Schreiberling.

Ich habe keine Ahnung, wie Ihr es mit der Lyrik haltet – ich in jedem Fall habe ein Faible dafür, wie dem einen oder anderen geneigten Leser bereits aufgefallen sein dürfte und so seht es mir nach, dass ich Euch heute gleich mit drei Gedichten an der Zahl überrasche.

Rückert und Eichendorff verbinden die Linde mit der Liebe – aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Rückert, mit dem ich beginnen möge, scheint frisch verliebt – und gießt diese seine überschäumenden Gefühle in ganz wunderbare Worte. Der Geruch der Lindenblüten, der frischen, der ihn an sein geliebtes Wesen erinnert, das ihm wohl den Strauß Lindenzweige geschenkt hat:

Ich atmet‘ einen linden Duft!
Im Zimmer stand
Ein Zweig der Linde,
Ein Angebinde
Von lieber Hand.
Wie lieblich war der Lindenduft!
Wie lieblich ist der Lindenduft!
Das Lindenreis
Brachst du gelinde!
Ich atme leis
Im Duft der Linde
Der Liebe linden Duft.

Der Romantiker Eichendorff scheint wohl mitunter die eine oder andere negative Erfahrung gemacht zu haben – aber wer hat das nicht… So ist es eben, das Leben, so ist sie, die Liebe – manche Erinnerung verblasst schneller, manche weniger schnell und das aus ganz unterschiedlichen Gründen. Ernüchterung, Desillusionierung klingt hier an, aber genauso auch Altersmilde, Reife. Und Gelassenheit sowie ein bisschen sentimentale Melancholie…

Bei einer Linde/address>
Seh ich dich wieder, du geliebter Baum,
In dessen junge Triebe
Ich einst in jenes Frühlings schönstem Traum
Den Namen schnitt von meiner ersten Liebe?
Wie anders ist seitdem der Äste Bug,
Verwachsen und verschwunden
Im härtren Stamm der vielgeliebte Zug,
Wie ihre Liebe und die schönen Stunden!
Auch ich seitdem wuchs stille fort, wie du,
Und nichts an mir wollt weilen,
Doch meine Wunde wuchs – und wuchs nicht zu,
Und wird wohl niemals mehr hienieden heilen.

Friedrich Schnack zeigt sich von der Größe, der Erscheinung der Linde berührt und gefühlstechnisch annähernd übermannt und dichtete jene Zeilen, die vielleicht nicht zu den ganz großen Gedichten gehören, aber denen meines Erachtens nach eine schlichte Schönheit innewohnt und eine ansteckende Begeisterung:

Unter deinem mächtigen Gestühle
Überfällt mich ahnungslose Kühle,
Strömt mich an des Sommers Atemstoß,
Und ich spüre aus der Blätter Wehen
Fremden Lebens heimliches Geschehen,
Deine Seele groß.
Wie sie sich verzweigt im Baume,
Aufwärts steigt und wirkt im Raume,
Überwindend ihren Erdengrund:
Wie sie schauert, klingt und leuchtet,
Lichtgesalbt und regenangefeuchtet,
Mit dem Himmel schloss sie ihren Bund.
Wölbig wohnen, wunderbare Haube,
Licht und Finsternis in deinem Laube,
Nacht und Tag.
Wenn die Abendsterne blinken,
Wenn die Morgensterne sinken,
Grüßt sie deines Herzens Schlag.

Komm endlich auf das Parfum zu sprechen, mag sich der eine oder andere jetzt denken – aber gerne doch meine Damen und Herren: Wer hat sich wohl der Linde angenommen, olfaktorisch? Wer es nicht bereits in meinem Blog (oder auch woanders) als kleine Ankündigung gelesen hat, wird vermutlich nicht draufkommen: Unser Herr Tauer aus der Schweiz. Jener Herr Tauer, der mir so fürchterlich-wunderbar bereits mit seinem Maiglöckchen Carillon pour un ange den Kopf verdrehte (Rezension siehe hier) – meine bisherige Duftliebe des Jahres 2011, definitiv.

Zeta, der Lindenblüte gewidmet – „Linden shade in June – sweet rose petals and the light of Syracusa.“. Ein Lindenschatten im Juni oder auch ein von dem Duft der Lindenblüten gefärbter Juni, freier übersetzt. „A bright ode to summer“ – eine strahlende Ode an den Sommer.

Wer Syrakus liest, wird auch gleich wissen, dass hier eine ganze Handvoll Hesperiden mit im Spiel sind, ist doch die sizilianische Stadt für dieselben berühmt. Die Ingredienzen: Zitrone, Bergamotte, Apfelsine; Herznote: Ylang-Ylang, Orangenblüte, Neroli, Lindenblüte, Rose; Basisnote: Iris, Mysore-Sandelholz, Vanille.

Zeta gehört zu der „Collectibles“-Reihe, das heißt, und das wird betont, dass der Duft limitiert ist – und zwar von und durch die hochwertigen Rohstoffe, die in ihm stecken und deren Verfügbarkeit sich von Jahr zu Jahr ändern kann.

Die exzellente Qualität der Ingredienzen wird einem beim Schnuppern schon sofort klar – hier wird nicht gekleckert sondern geklotzt was die Erlesenheit der Inhaltsstoffe angeht. Prickelnd-spritzige Agrumenfrüchte eröffnen sonnig-hell und strahlend den Reigen und geleiten den Duft in sein floral-fruchtiges Herz: Neroli, Ylang-Ylang und Orangenblüte geben sich hier ein Stelldichein, vor allem die letzten beiden stiften Fruchtsüße mit leichtem Honiganstrich. Die beiden Hauptfiguren sind aber Lindenblüte und Rose: Herb-süß und mit feinen Heunoten die erste, minzig-frisch und leuchtend die zweite. Jene wartet ebenfalls mit leicht moosigen Wurzeln auf, die für eine Ahnung Chypre sorgen. Darüber hinaus zeigt sie sich ausgestattet mit einer perlenden Süße, die später langsam in die süße Weichheit der zart-samtigen Basis übergleitet.

Ein luzider Duft, der mit seiner Ausstrahlung sowie seiner Strahlkraft meines Erachtens nach von jedem der drei Gedichte begleitet werden kann: Von Rückerts fröhlich-verliebtem Sehnen als auch von der Erhabenheit, die Schnack in andächtige Erfüllung führt. Aber, weil es eine Linde ist und weil noch ein Röschen, ein dorniges, hinzukommt wohnt dem Ganzen auch ein Hauch Melancholie inne, auch wenn Zeta ganz klar eine positiv-dynamische Aussage besitzt. Dafür hat Zeta ein Happy-End: Die Basis ist versöhnt und versöhnlich, milde und sanft – genau wie die kommenden Frühlingstage, zu denen der Duft herrlich passen wird.

Ich bin sehr gespannt, wie Zeta bei Euch ankommt!

Liebe Grüße,

Eure Ulrike.

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Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

8 Kommentare

  1. Katharina
    6. April 2011
    Antworten

    Liebe Ulrike,

    was für schöne Gedichte, passend zu diesem Frühlingstag!
    Auch ich bin ein großer Fan der Linde.
    Eine meiner ersten Begegnungen mit dem köstlichen Aroma hatte ich natürlich als fieberndes Kind, das Lindenblütentee als fiebersenkendes Mittel bekam und anschließend schwitzen mußte. Meine Oma hat die Blüten noch selbst gesammelt und auf großen Leintüchern in der Somme getrocknet.

    Und obwohl ich krautige und (gerb)säuerliche Tees (und Düfte) sehr gern mag, war mir das feine Aroma der Lindenblüte immer in besonderer Erinnerung – die ich vor einigen Jahren mit dem Kauf von „D’Orsay – Tilleul“ als Duft wieder aufleben lassen habe. Für mich ist er der schönste Lindenduft – aber ich werde natürlich testen, wie die Linde sich in Begleitung von den oben genannten Ingredienzien macht.

    Sonnige Grüße aus Bayern
    Katharina

  2. Avatar photo
    Ulrike
    8. April 2011
    Antworten

    Hallo liebe Kati,

    oh ja, der Lindenblütentee bei Fieber… Ich habe damit erst später Erfahrungen gemacht und hätte nie-nicht gedacht, dass man davon tatsächlich soo transpiriert 😀 Aber Deine Geschichte mit Omas selbstgepflückten Lindenblüten ist natürlich eine ganz andere, hat einen ganz anderen Stellenwert 🙂

    Tilleul ist natürlich auch einer meiner Lieblinge, na klar. Aber auch diese Lindenblüte hier ist sehr sehr testenswert weil ohnehin ganz anders umgesetzt. Was hälst Du denn als alter Malone-Fan von French Lime Blossom?

    Liebe Grüße,

    Uli.

  3. Almut
    12. April 2011
    Antworten

    Ich hab mich so gefreut auf diesen Duft und noch mehr auf das bestellte Pröbchen. In erwartungsvoller Vorfreude aufgesprüht, kurz wirken lassen und dann… was macht meine Haut daraus? Klospray. Ich war so enttäuscht. So gerne hätte ich ihn gemocht und ich bin nach wie vor überzeugt, auf der richtigen Haut ist das ganz bestimmt ein ganz toller Duft. Nur leider mit mir wird das nichts. Schade.

  4. Avatar photo
    Ulrike
    12. April 2011
    Antworten

    Och Almut, das tut mir ehrlich leid 🙁
    Ist wirklich ein toller Duft, auch wenn er bei mir nicht an das Maiglöckchen heranreicht *verliebtdavonschwebt*
    … andererseits bin ich fast beruhigt, dass es auch Düfte gibt, die auf DEINER Haut NICHT gehen 😉 Nachdem bei Dir so gut wie ALLES besser, schöner, toller, intensiver riecht – das macht mich normal immer so neidisch 😉
    Welcher Duft war das damals? Der Champa-Dingens? Erinnerst Du Dich?

    Liebe Grüße zurück,

    die Uli.

  5. Almut
    13. April 2011
    Antworten

    Hihi, ja, der Holy Champa (oder so ähnlich) war das. Ein dunkler Weihrauchkracher an mir und ein liebliches Blütenddüftchen an dir 😉

    Wobei, es gibt mittlerweile auch Blütendüfte, die an mir schön werden. Allen voran die wunderbaren Kurkdjians, APOM femme und Pour le Matin. So schön!

    Liebe Frühlingsgrüße
    Almut

  6. Margot
    13. April 2011
    Antworten

    Liebe Almut,
    mach Dir nichts draus wegen dem Zeta. An mir wird er ebenfalls ganz seltsam.

    Zu den von Dir erwähnten Kurkdjians muss ich jetzt doch mal was loswerden, was ich noch niiiieee jemandem gesagt habe weil ich dann wahrscheinlich als Banaue hingestellt werde (was jetzt allerdings auch passieren kann): Mir gefallen alle nicht, habe mir in dieser „privat collection“ was anderes vorgestellt und kann mich mit keinem anfreunden. Sorry Uli, wenn ich Dich mit dieser meiner Meinung auch enttäusche 🙂

    LG, Margot

  7. Almut
    13. April 2011
    Antworten

    Ach Margot, Geschmäcker sind eben verschieden. Ich kenne das auch sehr gut, dass mir extrem gehypte Düfte so gar nicht zusagen und meine Nase nichts mit ihnen anfangen kann.

    Die Kurkdjians haben mich allesamt (bis auf die Rosen, ich mag Rose nicht) gefangen. Die ganze Linie sagt mir zu 100% zu und das hat mich sehr überrascht, da die meisten Düfte eigentlich so gar nicht meinem Beuteschema entsprechen, ausser dem Pour le Soir.

    Liebe Grüße
    Almut

  8. Avatar photo
    Ulrike
    15. April 2011
    Antworten

    @ Almut: Genau den meinte ich 😀
    Und die Kurkdjians finde ich auch ziemlich genial, wobei mein absoluter Liebling der Lumière Noire pour Homme ist – soo schön.

    @ Margot: Kein Ding, damit enttäuscht Du mich doch nicht – ist eben immer ne Frage der Hautchemie, des Geschmacks usw. 🙂

    Liebe Grüße,

    die Uli.

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