Olfaktorische Poesie

Mit diesen malerischen Worten umschreibt Silvio Levi, der Inhaber des Mailänder Nischenduftlabels Calé Fragranze d’Autore, seine duftenden Werke, die in Zusammenarbeit mit dem italienischen Parfumeur Maurizio Cerizza entstanden sind und in den Jahren 2008/2009 lanciert wurden.

1955 gründete Levis Großvater Giuseppe Casolari das Unternehmen Calé in Mailand. Bereits vor dem zweiten Weltkrieg hatte er dort eine Damenfriseur- und Schönheitssalon betrieben – mit großem Erfolg. Mit Calé konzentrierte er sich auf den Vertrieb von Nischendüften, die Casolari liebevoll und mit großem Eifer auswählte und dann aus dem Ausland importieren ließ. Zur damaligen Zeit bahnbrechend, war doch die italienische Duftwelt der 1950er Jahre hauptsächlich von französischen Kreationen bestimmt, die zumeist dem Schoße diverser Haute Couture-Unternehmen entsprungen waren.

Auch heute noch befindet sich das Calésche Hauptquartier im Zentrum Mailands, schräg gegenüber der Kirche Santa Maria alla Porta. Im Jahre 1995 übernahm Silvio Levi das Familienunternehmen. Zuvor war der studierte Chemiker in der pharmazeutischen Industrie tätig. Mit der Zusammenarbeit mit Maurizio Cerizza und der Kreation einer Riege von acht Düften unter dem Namen Calé Fragranze d’Autore, erfüllte sich Levi einen lang gehegten Traum:

To establish his own brand with fragrances, created entirely under his own guidance, from the first inspiration to the final composition.

Die Erschaffung eines eigenen Labels mit Düften, die von der ersten Idee bis zur eigentlichen Gestaltung ganz seiner Leitung unterliegen. Dabei hat er ein ganz eigenes Konzept vor Augen:

Each Perfume from Calé Fragranze d’Autore is inspired by short excerpts from stories, flashes of memories and of emotions, to which Silvio Levi wants to give an olfactory form.

So ist jedes Parfum von Anekdotensplittern, Erinnerungsfetzen und Gefühlen inspiriert, die Herr Levi mittels Herrn Cerizza in eine duftende Form brachte. Man könnte auch sagen: Herr Levi ist der Erzähler und Herr Cerizza hält die kreative Duftfeder und bringt das Erzählte so in eine beständige Form: olfaktorische Poesie – zwar nicht auf Papier, sondern in einer Phiole, das tut ihrer Expressivität aber keinen Abbruch. Vielleicht sogar ganz im Gegenteil! Denn kann nicht ein an einer Phiole Schnuppernder in einen Duft viel mehr persönliche Empfindungen hineinlegen als in einen geschriebenen Text? Obliegt einer Duftkomposition nicht ein viel größerer Interpretationsspielraum als einem Schriftstück? Ein Parfumeur gibt dem Schnuppernden höchstens einen kleinen olfaktorischen Anstoß, welchen duftenden Weg die Phantasie eines jeden aber beschreitet, bleibt der Persönlichkeit, den Erfahrungen, den Erinnerungen, der Individualität des jeweiligen überlassen…. Ihr seht: Herr Levi versetzt mich auch schon in ganz poetische Stimmung. 😉

Genug herumphilosophiert! Kommen wir zu Potte! Fünf Düfte möchte ich Euch in meinen nächsten Rezensionen vorstellen, nämlich Brezza di Seta, Dolce Riso, Misterio, Ozio und Tepidarium. Beginnen wird doch am besten ganz klassisch alphabetisch mit Brezza di Seta. Zu deutsch „Seidenbrise“ oder „Brise aus Seide“, das bleibt jedem selbst überlassen. Klangvoller finde ich persönlich den Namen, einmal wieder, in der ursprünglichen italienischen Form.

Die Duftnoten: Schwarze Johannisbeere, Veilchenblätter, Neroli, Lavendel, Wasser-Schwertlilie, Magnolie, Rose, Patchouli, Vetiver, Vanilleschote, Tonkabohne.

Laut Herrn Levi ist Brezza di Seta ein schillernd-delikates Wechsel- und Zusammenspiel zahlreicher Emotionen. Ein femininer Duft, als einziger der Kollektion als solcher konzipiert. Herr Levi und seine Homepage bringen mich ehrlicherweise ein wenig zum Schmunzeln, weil die Texte gerne eine gewisse Doppeldeutigkeit besitzen. Wobei ich, mangels Italienischkenntnissen, nicht weiß, ob das der englischen Übersetzung geschuldet ist oder wirklich willentlich so formuliert wurde. „Schillernd-delikates Wechsel- und Zusammenspiel zahlreicher Emotionen“ in einem explizit femininen Duft könnte für mich ein poetisch-augenzwinkernder Ausdruck für weibliche Launenhaftigkeit und Stimmungsschwankungen sein. Aber vielleicht sitzt mir auch nur der Schalk im Nacken und ich lese deshalb solch ironische Doppeldeutigkeiten zwischen den Levischen Zeilen. Da die Kollektion auch einen ausdrücklich maskulinen Duft aufweist, bin ich schon gespannt, welche Zweideutigkeiten ich hier aufdecken werde. 😉

Teststreifen und Haut divergieren ziemlich, daher möchte ich mich zuerst dem Papier widmen: hier beginnt die Seidenbrise floral und grün. Iris eilt herbei und bringt cremig-pudrige Noten mit sich. Dezente Fruchtnoten zeigen sich, die ich aber eher einem Pfirsich zuordnen würde, denn der angegebenen schwarzen Johannisbeere (von letzerer rieche ich überhaupt nichts, ebenso wenig wie vom Lavendel). In Anbetracht der Duftnoten vermute ich, dass hinter der zart-samtigen Fruchtigkeit Neroli steckt. Die Iriscremigkeit bliebt nach wie vor dominant. Mit der Zeit wird die Seidenbrise holziger. Patchouli taucht auf, sehr zurückhaltend, schenkt Tiefe und dunklere Noten. Ab und an entdecke ich ein paar rauchige Momente, die mich in Kombination mit der dunklen Cremenote an den typischen Duft der Bourbon-Vanille erinnern.

Auf der Haut startet Brezza di Seta grün-fruchtig. Auch hier ist von einer charakteristischen schwarzen Johannisbeernote allerdings weit und breit nichts zu entdecken. Wie auf dem Teststreifen eilt auch epidermal die Iris den grünen Note zur Hilfe, bringt schnell cremige Aspekte hinzu und… Pudernoten. Eine sehr intensive Pudrigkeit, die mich für einen kurzen Moment an eine stark abgeschwächte Interpretation der Moulin-Rouge-Puderquaste von Histoires de Parfums erinnert. Doch blitzschnell tauchen unter all dem Irispuder aquatisch-florale Noten auf. Lavendelherbe schießt herbei und verfliegt so schnell wie sie gekommen ist. Die Seidenbrise gewinnt an Raum, wird holzig-krautiger. Die Pudernote bleibt aber dominant, wird weicher, feuchter und offenbart im Ausklang deutliche Vanillezüge. Den Namensbestandteil „Brise“ findet ich Hinblick auf den rasanten Duftverlauf auf meiner Haut äußerst treffend, denn einzig der abschließende Vanillepuder ist wirklich langanhaltend, umhüllt den Duftträger wie ein zarter Mantel aus Seide, womit auch die Seidenassoziation ihr olfaktorisches Plätzchen gefunden hat. 😉

Einen schönen Tag wünscht Euch,

Eure Stephanie.

Bildquelle: Mulberry Silk von Laura Appleton (Silkconcept) und Marquise de Pompadour at the Toilet Table von François Boucher – some rights reserved. Vielen lieben Dank!

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Julia Biró Verfasst von:

Bereits 2010 gingen so einige Blogbeiträge auf mein Konto. Dann war ich „kurz“ weg – sechs Jahre. Umso mehr freut es mich, dass ich nun wieder die Chance bekomme, mein Näschen im Dienste der Duftrezension schnuppern zu lassen und eifrig in die Tasten zu hauen. Was Nischendüfte angeht, habe ich damals übrigens schnell Feuer gefangen. Meine Ausbildung tat dazu ihr Übriges: Als diplomierte Biologin kenne ich mich nicht nur mit Fauna und Flora, sondern auch recht gut mit der Herstellung von Ölen und Extrakten aus, was den Reiz der Parfumwelt natürlich noch größer macht.

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