Nuda – Nude – Nackt

Gestern war bereits einer der beiden Nuda benannten Düfte an der Reihe, die unabhängig voneinander dieses Jahr im Sommer veröffentlicht wurden – Il Profumos Nuda.

Heute möchte ich mich dem verrückten Riechkolben Alessandro Gualtieris zuwenden und dessen ebenfalls Nuda getauftem Resultat seiner Firma Nasomatto. Wie uns die Gewohnheit bereits lehrte, ist Herr Gualtieri äußerst sparsam mit Angaben zu seinen Ingredienzen – will sagen: Er verrät nichts, das heißt es bleibt mir als bloggendem Schnüffler oder vielmehr schnüffelndem Blogger nur der Sprung ins vermeintlich kalte Wasser. Ich muss meine Nase selbst unter Beweis stellen und dem Duft, der mir von Haut und Teststreifen entgegenweht, selbst etwas abgewinnen ohne unterstützendes „Gerüst“ von Duftnoten. Manchmal macht es das schwerer, manchmal aber auch einfacher, wir werden sehen…

Gualtieri selbst nennt den Duft eine „Bombe“, er sei wie eine „Explosion“ – und legt mit Nuda seinen zweiten weißblüherzentrierten Duft hin: Bei der Nackten steht Jasmin im Vordergrund, nach Narcotic Venus, der der Tuberose gewidmet war.

„The fragrance invites you to undergo the unexpected tranquility of giving up oneself without concern for boundary, and to sense the hazy intuition of a depth that undoes distance. It’s a result of a quest to find a vanishing point in nature, the translucence of our senses, nude desire.“

Eine Reise zu sich selbst, ins Innere soll er also sein, ein natürlicher Fluchtpunkt, etwas, das tief unter dem Intellekt lauert, das Durchscheinen unserer Sinne, das nackte Begehren… Schön mal wieder. Ein paar poetische Zeilen, die den Duft in ein psychologisch-philosophisch anmutendes Wortgewand hüllen. In der Tat versteckt sich eine ganze Menge hinter Nuda, der mitnichten so trivial ist, wie der Name vielleicht scheinen mag.

Im Gegensatz zu vielen eher kantig anmutenden (aber nicht minder tollen) Kompositionen des Herrn Gualtieri hat er mit Nuda hier etwas komplett anderes geschaffen: Der Auftakt von Nuda ist geprägt von aldehydig anmutenden Fruchtnoten sowie dominantem Blattgrün eher hellerer und schillernder Natur. Für meine Nase ist es ganz klar eine mehlig-herb-fruchtige Birne, die den Kontrast zu den Blättern und der Hauptfigur bildet – dem Jasmin. Dieser gewinnt mehr und mehr an Aufwind und an Stärke, ist präsent und durchdringend und von einer leichten Süße und einer im Laufe des Duftes immer dominanter werdenden Cremigkeit, die ein wenig an Ylang erinnern lässt. Leichte indolische Noten sorgen für ledrige Kanten, die allerdings nie das grundlegende Gefüge zum Wackeln bringen, das mich immer mehr verwundert: Herr Gualtieri auf klassischen (Ab)Wegen. Nachdem sich dann auch noch eine holzig-samtige Iris unter die Cremigkeit mengt, ist es für mich recht klar – Inspiration und Vorbild für diesen Duft waren ganz klar einige einige Klassiker sowie die Handschrift einiger bekannter Parfumeure wie zum Beispiel Bourdon und Ropion.

Nuda hat eine dermaßen mächtige Strahlkraft und ist dabei so aurahaft dicht gewebt, so gebündelt. Narkotisch ist diese Nacktheit, aber gleichermaßen elegant und selbstverständlich, obgleich perfekt inszeniert. Ich fühle mich an meinen neuen Liebling Iris Poudre erinnert, unter anderem. An dessen Femininität – hier in Nuda meisterhaft umgesetzt. Ein unaufdringlicher Jasmin, ein Weißblüher, der niemals vulgär, sondern ganz im Gegenteil erhaben und klassisch wirkt, stilvoll.

Natürlich habe ich an dieser Stelle noch eine ganze Weile im Internet gegoogelt, habe mir alte Blogrezensionen von Kollegen angeschaut: Eine ganze Menge schrieben von dem Bombencharakter, dem Whoom-Effekt, davon, wie einen der Duft anspringt… Das sehe ich mitnichten so. Wie oben schon erwähnt, Jasmin ist ein Weißblüher und ein Nachtblüher und insofern das genaue Gegenteil einer zurückhaltenden Blüte. Hinzu kommen die dem Jasmin vorbehaltenen indolischen Noten, die, mal mehr und mal weniger augenscheinlich sind – Fäkalnoten, mal animalisch wirkend, mal tatsächlich an Exkremente erinnernd.

Nuda ist aber absolut nicht „Porno“ und auch kein Proll, wie vielleicht die Verknüpfung von Jasmin und Bombe assoziieren ließe. Nuda gesellt sich viel eher nicht nur namentlich zu jenem Nude-Look hinzu, der so in und beliebt ist: Normalerweise stehe ich ja nicht auf Unentschlossenes, wohne aber auch mittlerweile in Unfarben, liebe diese Changieren, dieses Unbestimmte und dessen Freiheit, deren Zurückhaltung und Dezenz, das Understatement, die Getragenheit.

Nuda ist ebenfalls – Understatement. Und dezent, wie man es eben als Weißblüher sein kann. Verführerisch, aber niemals aufdringlich. Und sehr inspiriert durch die große Kunst des Parfumeurshandwerks, wie ich auch bei Octavian Coifan las, der meine Meinung wohl ebenfalls teilt und den überaus treffenden Vergleich mit einer Perle und deren oszillierendem Schimmer bemüht hat.

Hach!

Liebe Grüße,

Eure Ulrike.

Bildquelle: Alfons Mucha (1896): Spring via Wiki Commons, some rights reserved – vielen lieben Dank!

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Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

Ein Kommentar

  1. Alina
    19. November 2010
    Antworten

    Hallo Uli,
    bin verblüfft, wie unsere Wahrnehmung des Gaultieri-Jasmins übereinstimmt. Genauso ist er: keine Bombe, kein Porno, sondern elegant und raffiniert verführerisch. Ich mag ihn sehr, allerdings eher bei etwas wärmeren Temperaturen. Mein anderer Jasmin-Liebling stammt aus dem Hause Le Jardin retrouvé, ein rauchiger indollastiger Jasmin, nicht unähnlich dem L‘ etat libre d’orange ‚Jasmin et cigarettes‘, wie ich letzten Samstag in Bruchsal feststellen konnte. Aber auch Keiko Mecheris lieblich-floralen ‚Jasmin‘ finde ich sehr gelungen, wenn auch nicht besonders komplex, was ich überhaupt nicht schlimm finde.
    Ein schönes Wochenende wünscht Dir
    Alina

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