Von Rasiermessern, schaurig-schönen Beziehungen und derben Täuschungsmanövern

Manchmal ist es aber auch wirklich verzwickt. Da denkt man ganz im Sinne von Ockhams Rasiermesser, dass die einfachste Lösung auch die beste ist bis man schließlich und endlich merkt, dass man damit irgendwie doch auf dem Holzweg ist. So geschehen bei meiner Duftnotenrecherche, bei der ich das ein oder andere Mal sprichwörtlich auf der Nase landete. Und gleichzeitig so manches Aha-Erlebnis durchlebte.

Es gibt viele Duftnoten, deren Namen uns verleiten, irreführen und im Dunkeln tapsen lassen. Doch damit sei nun Schluss! Hier kommt nun der große Duftnoten-Enthüllungsartikel – Teil 1! Aufgepasst! Schnallt Euch an! 😉

Ein erster Kandidat auf meiner Liste ist das gute, altbewährte und allseits beliebte Eichenmoos. Jeder kennt es (zumindest jeder Duftliebhaber) als festen Bestandteil in Chypre- und Fougère-Kompositionen. Doch was verbirgt sich hinter diesem moosigen Gesellen mit dem etwas schrulligen Namen, der mich ein wenig an Tolkiens Mittelerde erinnert? Zuerst einmal: Es ist kein Moos, sondern eine Flechte. Dass das zwei völlig unterschiedliche Lebensformen sind, mag dem ein oder anderen von Euch neu, ja vielleicht auch irgendwie egal sein. Aber: Überspitzt gesagt, verhält es sich ungefähr so, als ob ich zu einem Kaninchen einfach Tulpe sagen würde – ein biologisches Dilemma!

EichenmoosMoose sind grüne Landpflanzen. Jeder kennt sie aus Wäldern und Mooren oder auch nur als lästigen Eroberer so mancher Rasenfläche. Moos hat nicht nur einen dekorativen Charakter in Osternestchen oder Weihnachtskrippen, auch in der traditionellen Heilkunde, insbesondere der indianischen und chinesischen, werden sie gerne eingesetzt.
Flechten dagegen sind eine symbiotische Lebensgemeinschaft zwischen einem Pilz und einem photosynthetisch aktiven Partner, zumeist Grünalgen oder Cyanobakterien. Wenn man es durch die rosarote Brille betrachten mag, klingt es fast wie eine ideal anmutende Partnerschaft (von zugegebenermaßen recht unterschiedlichen Gemütern), in der keiner von beiden Nachteile, sondern nur Vorteile hat. Der eine gibt Unterschlupf, der andere sorgt für das leibliche Wohl. Ja, ganz so verklärt, darf man die Sache wohl nicht betrachten, schließlich findet die Synthese von Flechten nur dann statt, wenn sich beide in einer absoluten Notsituation befinden und völlig ausgehungert sind. Da die Fortpflanzung von beiden meist unabhängig voneinander abläuft, sind sie zuerst getrennt und müssen sich dann gegenseitig aufspüren (wie das in der Natur geschieht ist noch nicht ganz geklärt). Der Pilz übernimmt die dominante Rolle im Zusammenleben der beiden Partner. So ergibt sich die typische Flechtenform erst dann, wenn er die Alge bzw. das Bakterium völlig unterjocht hat. Tja, so harmonisch es anfangs scheint, im Alltag sieht es dann eben doch oft ein bisschen anders aus.

Nun, aus dieser ungewöhnlichen Gemeinschaft aus Pilz und Bakterium bzw. Alge resultiert die Tatsache, dass Flechten nicht zu den Pflanzen gezählt werden. Sie nehmen vielmehr einen Platz zwischen Pilzen (auch keine Pflanzen) und Pflanzen ein.
Ihre Verwendung ist vielfältig. Neben dem uns aus der Parfumerie bekannten Eichenmoos oder auch dem Baummoos, wird beispielsweise das Isländische Moos bei Atemwegserkrankungen eingesetzt. Des weiteren wurden und werden Flechten auch gerne mal verspeist (nicht nur in Notzeiten). Aus bestimmten Sorten können purpurne Farbstoffe extrahiert werden und auch der in der Chemie allgegenwärtige Lackmus stammt aus Flechten.

PfingstroseSo, den zweiten Kandidaten haben wir letztes Mal schon durchgenommen, daher jetzt nur noch mal kurz zur Erinnerung: die Pfingstrose. Weder näher verwandt, noch verschwägert mit der Rose. Aber zumindest gehören beide zu den Pflanzen. Puh! Wir können also durchatmen. Zumindest was das angeht ist die Welt noch in Ordnung.
Man kann als Biologe ja so manches Weltbild aus den Angeln heben. Dazu braucht es oft nicht viel. Allein die Tatsache, dass man als Biostudent und Absolvent heute nicht mehr in Diether Krebs’scher Manier im „Ich bin der Martin, ne“-Look mit Strickpulli, Cordhosen und Birkenstocks herumläuft, mag für manch Aussenstehenden eine Überraschung sein. Auch in Hinblick auf die alltägliche Obst- und Gemüseauswahl im Supermarkt oder Fachhandel kann der Biologe auf seine ganz eigene Art verblüffen.
So zählt die Gurke rein botanisch gesehen zu den Beeren. Ebenso die Banane, die Kiwi, die Avocado, die Tomate, ja selbst der Kürbis. Nicht zu den Beeren gehören dafür die Erdbeere, die eine Sammelnussfrucht ist, sowie Him- und Brombeere. Die sind Sammelsteinfrüchte. Und ich bin mir sicher einige von Euch werden ungläubig mit dem Kopf schütteln, falls Ihr es nicht sowieso schon tut, und sich denken „Die spinnen doch!“, aber: auch die Paprika wird immer völlig falsch angesprochen… Es handelt sich in keinster Weise um Schoten, es sind Beeren! Verrückte Welt!
Nun bin ich aber ein wenig abgeschweift von der eigentlichen Thematik. Wir waren bei den Rosen. Neben der Pfingstrose gibt es da nämlich noch ein anderes Gewächs, dass uns namentlich eine Verwandtschaft mit diesen vortäuscht: das Rosenholz. Oder sollte ich besser sagen, das tückische Rosenholz??

Ostindischer PalisanderEs ist nämlich so, dass man unter dem Begriff ‚Rosenholz‘ diverse Holzarten aus der Gruppe der Palisanderhölzer versteht, die mit Rosen so was von überhaupt nichts am Hut haben. Da die Palisanderhölzer zur Familie der Hülsenfrüchte gehören, sind sie vielmehr mit Erbse und Bohne verwandt. Bekanntestes Beispiel aus der Palisanderhölzer-Truppe ist wahrscheinlich das Bahia-Rosenholz, welches frisch aufgeschnitten einen rosenähnlichen Duft verströmen soll und eine gelblich-rosarote Färbung besitzt. Im Handel ist es unter den Namen Rosenholz oder Sheesham im Umlauf, nicht aber als Palisander (was ja irgendwie am treffendsten, einfachsten und logischsten wäre). Es wird gerne für den Möbel- oder Musikinstrumentenbau verwendet. Ebenfalls für den Möbelbau, für Furniere, Täfelungen, Parkett und für Musikinstrumente werden der Rio-Palisander (dunkelrot bis fast schwarze Farbe) und der Ostindische Palisander (dunkelviolett-braune Farbe) genutzt. Hier trifft der Name ausnahmsweise mal zu, gehören die doch wirklich zu den Palisanderhölzern. Hurra!
Einer der Hauptgründe für die verwirrende Namensgebung dürfte der englische Name des Palisanders sein: ‚rosewood‘. Irgendwie klar, dass der oft fälschlich mit Rosenholz übersetzt wird. Liegt ja auch nahe, wenn man es oberflächlich betrachtet.

Wem das nicht schon konfus genug ist: Das Rosenholzöl, das in der Parfumerie verwendet wird, stammt von einem ganz anderen Gewächs, nämlich dem Rosenholzbaum ‚Aniba rosaeodora‘, der zu den Lorbeergewächsen gehört und somit verwandt ist mit Avocado, Zimt und klar, dem Gewürzlorbeer.
Um dem ganzen noch ein Krönchen aufzusetzen, es existiert auch noch ein Palisanderholzbaum, der nichts, aber auch gar nichts mit den gleichnamigen Erbsenverwandten zu tun hat, sondern viel mehr zu den Trompetenbaumgewächsen gehört und enge Verwandtschaftsbeziehungen zu den in unseren Breiten weniger bekannten Arten Kalebassenbaum und Leberwurstbaum pflegt. Ja, letzterer heißt wirklich so! 🙂

Genug des Enthüllungsjournalismus! Weiter geht es im nächsten Artikel!

Eine schöne Woche wünscht Euch,

Eure Stephanie.

Bildquelle: Eichenmoos von Tocekas, Pfingstrose von Shin und Ostindischer Palisander von Wibowo Djatmiko – alle via WikiMedia Commons. Some rights reserved. Vielen Dank!

Neueste Kommentare

Julia Biró Verfasst von:

Bereits 2010 gingen so einige Blogbeiträge auf mein Konto. Dann war ich „kurz“ weg – sechs Jahre. Umso mehr freut es mich, dass ich nun wieder die Chance bekomme, mein Näschen im Dienste der Duftrezension schnuppern zu lassen und eifrig in die Tasten zu hauen. Was Nischendüfte angeht, habe ich damals übrigens schnell Feuer gefangen. Meine Ausbildung tat dazu ihr Übriges: Als diplomierte Biologin kenne ich mich nicht nur mit Fauna und Flora, sondern auch recht gut mit der Herstellung von Ölen und Extrakten aus, was den Reiz der Parfumwelt natürlich noch größer macht.

6 Kommentare

  1. Margot
    9. Juni 2010
    Antworten

    Huiiiiiii liebe Stephanie,
    das sind ja gewaltige Sprünge in Deinem Duftdomino 🙂
    Von Eichmoos über Pfingsrose zu Avocado und Palisander! Da muss man schon alle Sinne beisammen haben, um diesen Gedankensprüngen zu folgen, aber es macht mega-Spass.
    Bitte weiter so!

    LG, Margot

    • Steffi
      10. Juni 2010
      Antworten

      Liebe Margot,

      dieses Mal war es ursprünglich gar nicht als Domino gedacht, da die duftnotigen Gedankensprünge ja wirklich zu groß sind. Also eher eine spielsteinlose Art der Aufklärung 😉
      Ich freue mich natürlich riiiesig, dass es Dir gefallen hat! Bin schon am Planen eines weiteren Dominoartikels – man darf also gespannt sein! 🙂

      Liebe Grüße, Steffi

  2. Christiane
    13. Juni 2010
    Antworten

    Liebe Steffi,
    Danke für den sehr informativen Artikel. Eine Frage noch: Du schreibst …“Platz zwischen Pilzen (auch keine Pflanzen) und Pflanzen..“.
    Seit wann ist der gefühlt jahrehundertealte Streit, ob Pilze nun Pflanzen sind oder nicht, entschieden? Habe ich da was nicht mitbekommen oder haben sich nur deine Profs festgelegt;-)
    Das ist keine ketzerische (na ja, nicht nur) Frage, ich bin für Literaturhinweise o. ä. sehr dankbar.
    Liebe Grüße C.

    • Steffi
      13. Juni 2010
      Antworten

      Liebe Christiane,
      oje, jetzt hast Du was angefangen. 😉
      Hiermit wird es nämlich etwas kompliziert:
      Ich beziehe mich hier auf tatsächlich u.a. auf die Einteilung, die wir es an der Uni gelernt haben. Hier wird zum einen zwischen Prokaryoten (zelluläre Lebewesen ohne Zellkern, dazu zählen die Bakterien) und Eukaryoten (zelluläre Lebewesen mit Zellkern, Chromosomen, Zellmembran). Letztere werden wieder unterteilt, die neuste Einteilung stammt von Frau Adl aus dem Jahr 2005, die die Eukaryoten in 6 Obergruppen aufteilt, wobei eine dieser Gruppen die Opisthokonta sind und eine die Archaeplastida. Zu ersteren gehören die Pilze und die vielzelligen Tiere (neben noch ein paar anderen Gruppen, die hier aber uninteressant sind). Zu den Archaeplastida gehören zum Beispiel die Pflanzen. Also, nach dieser Einteilung stehen die Pilze den Tieren vielleicht irgendwie näher als die Pflanzen, aber eben auch nur vielleicht und irgendwie
      Tja, ich kann mich da auch nur auf die Fachliteratur verlassen und meine alten Uniskripte. Die systematische Einteilung, dass Pilze, Pflanzen und Tiere als eigenständige ‚Reiche‘ innerhalb der Eukaryonten angesehen werden gibt es schon jahrzehntelang. Da hat immer mal wieder jemand dran gerüttelt und was anderes behauptet, aber es hat sich dann doch wieder die traditionelle Einteilung durchgesetzt. Dann wird wohl was dran sein, wenn die Forschungsergebnisse immer wieder drauf zurückkommen, nach neusten Erkenntnissen wurden diese ‚Reiche‘ eben in die sechs Obergruppen und innerhalb dieser nochmal neu verteilt. Aber das Ergebnis bleibt im Endeffekt das gleiche. 🙂
      Klar ist das alles irgendwie festgelegt von Profs bzw. Forschern. Wenn man es mal ganz überspitzt sagen will: das Periodensystem der Elemente wurde auch irgendwann einmal als Einteilung so festgelegt… und jeder hält sich dran und nimmt es für bare Münze, aber wissen wir oder können wir hundertprozentig, tausendprozentig sagen oder beweisen, dass es wirklich genau so stimmt? Oje, jetzt wird es philosophisch und ich gebe das Mikrophon weiter an Uli, die kennt sich mit so etwas besser aus). 🙂
      Ich für meinen Teil bin erklärungsmäßig am Ende mit meinem Latein. 😉
      Liebe Grüße, Steffi

  3. Christiane
    14. Juni 2010
    Antworten

    Danke, Steffi,
    das war sehr anschaulich und ausführlich.
    Ich denke auch, den Streit können wir getrost den höheren akademischen Chargen überlassen. Halten wir es doch – um Uli mit ins Spiel zu bringen – auch auf diesem weiten Welt wie Agnostiker;) – beide Ansichten haben was für sich, und wer weiß, in 20 Jahren oder so wird an den Unis etwas revolutionär (evolutionär?) anderes gelehrt :-)).
    Vielen Dank also für den ausführlichen und ungeplanten Ausflug
    Liebe Grüße C.

    • Steffi
      14. Juni 2010
      Antworten

      Hehe… Ja, man kann nie wissen was in ein paar Jahren gelehrt wird.
      Vielleicht, dass der Mensch vom Pilz statt vom Affen abstammt?! Das wäre wirklich revolutionär-evolutionär 😉
      Man darf auf jeden Fall gespannt sein!
      Einen schönen Tag wünscht Dir,
      Steffi

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