Der Duft von Madeleines…

Immer, wenn von den Besonderheiten des Geruchssinns die Rede ist fällt schnell der Name Marcel Proust: In dessen Werk Auf der Suche nach der verlorenen Zeit ist es der Duft jenes französischen Gebäcks, der dem Protagonisten Reminiszenzen beschert: In Lindenblütentee getunkte Madeleines lassen ihn in Kindheitserinnerungen schwelgen, beschwören seine Jugendzeit vor seinem inneren Auge herauf:

„Und mit einem Mal war die Erinnerung da. Der Geschmack war der jenes kleinen Stücks einer Madeleine, das mir am Sonntagmorgen in Combray (weil ich an diesem Tag vor dem Hochamt nicht aus dem Hause ging), sobald ich ihr in ihrem Zimmer guten Morgen sagte, meine Tante Leonie anbot, nachdem sie es in ihrem schwarzen oder Lindenblütentee getaucht hatte. Der Anblick jener Madeleine hatte mir nichts gesagt, bevor ich davon gekostet hatte; vielleicht kam das daher, dass ich dieses Gebäck, ohne davon zu essen, oft in den Auslagen der Bäcker gesehen hatte und dass dadurch sein Bild sich von jenen Tagen in Combray losgelöst und mit anderen, späteren verbunden hatte; vielleicht auch daher, daß von jenen so lange aus dem Gedächtnis entschwundenen Erinnerungen nichts mehr da war, alles sich in nichts aufgelöst hatte; die Formen […] waren vergangen, oder sie hatten, in tiefen Schlummer versenkt, jenen Auftrieb verloren, durch den sie ins Bewusstsein hätten emporsteigen können. Doch wenn von einer weit zurückliegenden Vergangenheit nichts mehr existiert, nach dem Tod der Menschen und dem Untergang der Dinge, dann verharren als einzige, zarter, aber dauerhafter, substanzloser, beständiger und treuer der Geruch und der Geschmack, um sich wie Seelen noch lange zu erinnern, um zu warten, zu hoffen, um über den Trümmern alles übrigen auf ihrem beinahe unfassbaren Tröpfchen, ohne nachzugeben, das unermessliche Gebäude der Erinnerung zu tragen.

Und so ist denn, sobald ich den Geschmack jenes Madeleine-Stücks wiedererkannt hatte, das meine Tante mir, in Lindenblütentee getaucht, zu geben pflegte (obgleich ich noch immer nicht wusste und auch erst späterhin würde ergründen können, weshalb diese Erinnerung mich so glücklich machte), das graue Haus mit seiner Straßenfront, an der ihr Zimmer sich befand, wie ein Stück Theaterdekoration zu dem kleinen Pavillon an der Gartenseite hinzugetreten, der für meine Eltern nach hintenheraus angebaut worden war (also zu jenem begrenzten Ausschnitt, den ich bislang allein vor mir gesehen hatte), und mit dem Haus die Stadt, vom Morgen bis zum Abend und bei jeder Witterung, der Platz, auf den man mich vor dem Mittagessen schickte, die Straßen, in denen ich Einkäufe machte, die Wege, die wir gingen, wenn schönes Wetter war. Und wie in jenem Spiel, bei dem die Japaner in eine mit Wasser gefüllte Porzellanschale kleine Papierstückchen werfen, die sich zunächst nicht voneinander unterscheiden, dann aber, sobald sie sich vollgesogen haben, auseinandergehen, Umriß gewinnen, Farbe annehmen und deutliche Einzelheiten aufweisen, zu Blumen, Häusern, echten, erkennbaren Personen werden, ebenso stiegen jetzt alle Blumen unseres Gartens und die aus dem Park von Swann und die Seerosen der Vivonne und all die Leute aus dem Dorf und ihre kleinen Häuser und die Kirche und ganz Combray und seine Umgebung, all das, was nun Form und Festigkeit annahm, Stadt und Gärten, stieg aus meiner Tasse Tee.“

Kulturhistorisch betrachtet wurde die Nase bis ins 18. Jahrhundert stiefkindlich behandelt und rangierte unter ferner liefen, der Geruchssinn galt als „niederer“, und somit zweitrangiger Sinn. Zu Unrecht, wie man heute weiß: Die Riechzentrale, der sogenannte Bulbus Olfactorius, verfügt über eine ziemlich direkte Leitung zur Amygdala, jenem Teil des limbischen Systems, der maßgeblich für Emotionen und bestimmte Erinnerungsleistungen verantwortlich ist.

Eine wissenschaftliche Erkenntnis, die uns als Duftfans nicht weiter wundert – wissen wir doch um den Zauber von Düften, um ihre Fähigkeiten, einen unmittelbar in längst vergangene Zeiten zurückzuversetzen, Erinnerungen zu wecken, an Menschen, Situationen Orte, Emotionen hervorzurufen und zu verstärken.

Nicht nach Lindenblütentee, dafür nach Rosenwasser riecht The Different Companys neuer Duft Pure Virgin – und nach Madeleines, finde ich.

„Pure Virgin is born from a simple idea: create a simple and comfortable perfume, fresh and luxurious a perfume as soft and elegant as a Seersucker shirt or a black dress. For her or for him, a purely sensual luxury to wear every day.“

Céline Ellena, deren vorerst letzter Duft für die Firma ihres Vaters Pure Virgin sein soll (Bertrand Duchaufour wird in Zukunft auch bei TDC zugange sein) schwebte ganz trendgerecht eine Art Nicht-Parfum vor: Nach Serge Lutens‘ L’Eau SL und vielen ähnlichen Produkten dieser Art strebt man auch hier nach Transparenz und Transzendenz. Unparfümiert möchte man riechen, frisch und sauber. Wie die eigene Haut, nur besser soll der Duft duften, einfach und angenehm.

Ganz abgesehen davon, dass ich zwar diverse kleine Schwarze besitze und jedem derselben eine Jogginghose des Tragekomforts wegen vorziehe, wird Pure Virgin dem gestellten Anspruch gerecht: Es erwartet Euch ein watteweicher Moschus, luftig leicht, mit einer subtilen zuckrigen Süße behaftet, die an Calissons gemahnen soll, für mich aber wie saftige Madeleines riecht. Der Geruch von frisch gewaschenem, sauberem Leinen liegt in der Luft, während der Wind den Duft der nahen Rosenfelder herüberweht.

Eine Szenerie, die so vielleicht in Prousts Dörfchen Combray vorzufinden wäre… genauso gut aber auch an vielen anderen Orten. Eine, die einlädt – zum Entspannen und Träumen – genauso wie Pure Virgin, der uns auf diese Reise schickt. Diese Proustsche Unschuld vom Lande wird als Duft für Weiblein als auch Männlein verkauft, was ich unterschreiben kann. Allerdings denke ich, dass aufgrund seiner latenten Süße vermutlich mehr Frauen an ihm gefallen finden werden.

Habt Ihr schon getestet? Wie steht Ihr zu dem Duft?

Liebe Grüße,

Eure Ulrike.

Bildquelle: Marcel Proust (1900) via Wiki Commons, Bee sheltering in rose von Peter Mazurek, Laundry von RAWKU5, beides via stockxchng, some rights reserved – vielen lieben Dank!

P.S.: Für Informationen und Zitate von Marcel Proust – siehe hier sowie auf den Seiten der Marcel Proust Gesellschaft e.V.!

Hier erhalten Sie Pure Virgin von The Different Company in unserem Shop.

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Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

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