Von Licht…

Heute und morgen folgen erneut zwei Düfte der Evanescent-Kollektion der Chinesin Yosh Han: White Flowers 1.41 und Omniscent 0.96, die ich für mich unter dem Titel „Licht und Schatten“ zusammengefasst habe, da sie ihrer olfaktorischen Farbigkeit nach zu urteilen aus zwei ganz unterschiedlichen Richtungen kommen. Ich habe jetzt keinesfalls vor, esoterisch zu werden – dafür möge man bei Yosh Han auf deren Seite nachschauen. Aber Düfte und Farben gehören bei mir ebenfalls zusammen, obgleich in einem vielleicht eher synästhetischen Sinne.

White Flowers steht logischerweise für das Licht – und Madame Han illuminiert uns da ganz vortrefflich mit einem riesigen Bündel an weißen Blüten: Tuberose und verschiedene Sorten Jasmin sowie Rosen, Veilchen, Flieder, Freesie, Gardenie, Maiglöckchen, Narzisse, Petitgrain und Duftwicke, um genau zu sein, denen sibirische Tanne an die Seite gestellt wird. Lassen wir dazu erstmal Madame Han zu Wort kommen: Ihre Mutter sei Ikebana-Künstlerin gewesen, jene japanische Kunst des Blumenarrangements. Sie betone wohl immer wieder, dass es dabei nicht nur um die Blüte selbst, sondern um deren gesamte Erscheinung geht sowie deren Relationen, um Stengel, Blätter, Blütenstempel. Mit White Flowers schuf Yosh Han einen ebensolchen Duft: Keinen typischen Weißblüher, wie sie bescheinigt, einen jener Düfte, die schnell zu dick auftragen, einen zu erschlagen drohen mit ihrer Opulenz und Süße und bisweilen nur schwer zu ertragen sind. Sondern einen komplexen weißfloralen Duft, der die gesamte Pflanze mit einbezieht, wofür grüne Anklänge und Tanne sorgen.

Ursprünglich war der Duft einem Hochzeitsbouquet gewidmet – allerdings entdeckte Yosh, dass er sich auch auf Männerhaut hervorragend macht. Und ist wohl nach wie vor total verliebt in ihre Kreation.

Betreffs der Vorbehalte gegenüber weißfloralen Düften muss ich Madame Han natürlich recht geben: Ich habe auch meine Probleme mit vielen Weißblühern, habe mich an Tuberose, Jasmin und Co. langsam und sehr behutsam herangetastet. Und bin wählerisch. Zu ausladend darf es nicht sein, keinesfalls eine Überdosis Süße beinhalten und mir nicht sofort oberhalb der Nase zwischen den Augenbrauen ein Stechen verursachen.

White Flowers tut all jenes nicht: Frisch ausgesprüht entführt einen der Duft augenblicklich in einen jener wunderbaren Blumenläden, in denen ich stundenlang lustwandeln könnte. Herrliche Arrangements zwischen Dekorationsartikeln und Inneneinrichtungsgegenständen, Bouquets und Gestecke, herrliche Blumensträuße. White Flowers ist auch etwas in der Richtung und wird gerade frisch geknüpft. Die Stengel wurden gerade geschnitten und versprühen die ihnen genuine grüne Frische, welche kurze Zeit später in jenen Duft übergeht, den man in Gewächshäusern vorfindet: Pflanzengrün, frisch-säuerlich-herb, wässrig-dämpfige Luft und Blütensüße. Eingebunden wird hier in der Tat jeder Zipfel der Pflanze(n), wobei zumindest ich in dem dichten Blütengewirr nicht dazu in der Lage bin, einzelne Exemplare zu verorten. Das macht aber auch gar nichts, denn White Flowers ist genauso wie ein Ikebana-Arrangement ein Gesamtkunstwerk, bei dem der Fokus auf Ganzheitlichkeit liegt.

Vom Stil her erinnert mich der Duft ein wenig aufgrund seiner Dämpfigkeit an Etros Royal Pavillon, den ich hier bereits rezensierte – siehe hier. Ein derartiger Verweis mag aber nur ein Richtungsweiser sein, die beiden Düfte trennt ansonsten viel: Royal Pavillon ist facettierter, eindeutiger Tuberose, mit scharfkantigen Vetivergrashalmen. White Flowers ist harmonisches Ganzes und fällt mit seiner Einbeziehung der kompletten Blüte auch aus dem Muster oder Schema F der typisch weißfloralen Parfums heraus. Neben der verhaltenen Blütensüße zeigt er nicht nur grüne und frische Akzente, sondern auch jene herbe Schärfe, die mancherlei Blätter und Stängel mit sich bringen. Auch meine ich gewisse chyprierte Anklänge zu entdecken. Alles in allem erkennt man, wie bei allen bisher getesteten Yosh-Düften die Hochwertigkeit der verwendeten Ingredienzen.

Ein schöner Duft, den ich mir sehr wohl auch an Männern vorstellen kann.

Morgen geht es weiter mit dem Schatten – Omniscent 0.96. Bis dahin alles Gute und liebe Grüße,

Eure Ulrike.

Bildquelle: Hirozumi Sumiyoshi (1700): Rikka, Ikebana-Arrangement von Ellywa, beides via Wiki Commons, some rights reserved – vielen lieben Dank!

Hier finden Sie Yosh Hans White Flowers 1.41 in unserem Shop.

Neueste Kommentare

Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

Schreibe den ersten Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert