Alles ist gut, was gut endet

sagt ein russisches Sprichwort. Die deutsche Entsprechung dessen ist die Redewendung „Ende gut, alles gut“ (an und für sich nicht schwer zu erraten). Zu einem guten Abschluss komme ich hoffentlich auch in meiner heutigen Rezension. Falls Ihr Euch erinnert, heute ist der letzte Birnenduft mit einer etwas anders gearteten Protagonistin an der Reihe. Dass die Birne hier ein etwas anderes Auftreten hat, als in den beiden anderen Düften, habe ich Euch ja schon verraten. Auch das Ziel unserer heutigen Duftreise ist Euch, lieben Lesern, schon genannt worden: Russland.

Natürlich ist das Land im nördlichen Eurasien ziemlich groß (nicht nur das: es ist flächenmäßig das größte Land der Erde), weshalb es einer genaueren Spezifizierung unseres Reiseziels bedarf: etwa 70km nordöstlich von Moskau. Und was befindet sich dort? Eine Stadt namens Sergijew Possad. Genau dorthin verschlägt es uns. Den meisten von Euch mag die etwa 120.000 Einwohner zählende Großstadt, deren Gründung auf das 15. Jahrhundert zurückgeht, nicht wirklich ein Begriff sein. Zumindest nicht unter dem eben genannten Namen, den sie erst nach dem Zerfall der Sowjetunion im Jahre 1991 erhielt. Ihr alter Name mag dagegen bei so manchem ein Lichtchen aufgehen lassen: Sagorsk (oder im englischsprachigen Raum: Zagorsk).

Ein gleichnamiger Duft wurde im Jahre 2002 vom Kawakuboschen Individualistenlabel par excellence Comme des Garçons lanciert; entstanden in Zusammenarbeit mit Evelyne Boulanger, auf deren Nischenduftkonto auch die CdG-Düfte Carnation (Series 2) und Jaisalmer (Series 3) gehen, ebenso wie Amouages Silver Cologne und L’Artisan Parfumeurs Patchouli Patch (in kreativer Kooperation mit Bertrand Duchaufour).

Doch möchte ich noch einige Worte zu Sergijew Possad verlieren. Nicht ohne Grund wählten Frau Kawakubo und Frau Boulanger Namen der Stadt; nun, warum sie ausgerechnet auf den alten Sowjetnamen Zagorsk zurückgriffen haben, bleibt ihr Geheimnis. Möglicherweise weil Sergijew Possad nicht so leicht auszusprechen ist und darüber hinaus auch als Duftname eher wenig ansprechend erscheint? Man weiß es nicht. Was aber klar wie Kloßbrühe ist, ist der direkte Bezug des Duftes zur Stadt an sich. Wie die meisten von Euch sicher wissen, wurde Zagorsk für die CdG-Series 4 konzipiert. Diese Serie trägt den Beinamen Incense und verrät somit stante pede die Duftnote, um die herum die jeweiligen Düfte der Serie geschaffen wurden: Weihrauch.

In Anbetracht dessen muss ich zugeben, dass meine vorherige Aussage, die Birne sei Protagonistin des Duftes, ein wenig vorschnell und großspurig war, ist sie doch viel eher Deuteragonist, wenn nicht gar Tritagonist, möglicherweise hat sie aber auch nur eine kleine Nebenrolle… Star des Duftes, und das kann ich auch vor dem Testen mit relativ großer Sicherheit nun sagen, wird wohl der Weihrauch sein.

Doch was hat es nun mit Weihrauch und der unaussprechlichen russischen Stadt auf sich? Wie ich bereits erwähnt habe, wurde Sergijew Possad im 15. Jahrhundert gegründet. An selbiger Stelle war damals aber nicht öde Einsamkeit, stand (und steht) dort doch das im Jahre 1340 von einem Mönche gegründete Dreifaltigkeitskloster, womit in Sergijew Possad eines der wichtigsten Zentren der russisch-orthodoxen Kirche beheimatet ist.

Und da Weihrauch und Kirche ja gerne mal zusammengehören wie Susi und Strolch, passt die Namensvergabe eigentlich wie die Faust auf das Auge. Doch welche Duftnoten schart der Weihrauch noch um sich herum? Und wie kommt die Birne mit ins Spiel? Fragen über Fragen, die leicht beantwortet werden können, denn des Rätsels Lösung ist einfach. Et voilà, die Ingredienzien: Birnenholz, Zypresse, Weihrauch, Piment, Iris, Kiefer, Zedernholz.

Teststreifen und Haut sind sich bei diesem Duft einmal wieder einig. Frisch aufgesprüht zeigen sich sofort intensive, stark-rauchige Noten. Trocken und dunkel wirkt Zagorsk und weckt damit sogleich Assoziationen an dunkle Kostergewölbe, kalt und still. Eine pfeffrige Würze und Koniferennoten unterstreichen die kühle Trockenheit. Beinahe erinnert mich Zagorsk an die Parfumerie Générale Schwarzteedüfte Hyperessence Matale und L’Eau Rare Matale, allerdings ohne die zitrischen Anklänge. Aber von der Grundtendenz her, kann ich da eindeutige Ähnlichkeiten erkennen. Eine subtile Holznote meine ich wahrzunehmen; vielleicht bahnt sich hier das Birnenholz den Weg auf die Bühne, nein, es verbleibt in einer kleinen Nebenrolle ganz im Hintergrund des Geschehens. Im weiteren Verlauf, lange, lange nach dem Aufsprühen, entwickelt Zagorsk eine zart-süßliche cremig-weiche Irisnote, die mit einer rauchigen Pfeffrigkeit akzentuiert ist.

Die Birne geht in Zagorsk leider völlig verloren, was aber in Anbetracht ihrer hölzernen Form auch nicht weiter verwunderlich ist. Das klösterliche Duftgewebe ist so komplex und engmaschig, dass es ohnehin schwierig ist, einzelne Noten zu erfassen. Außerdem kann so etwas Zartes wie Birnenholz unter all den intensiven und hervorstechenden Weihrauch-, Koniferen- und Gewürznoten leicht untergehen.

Sehr beschönigt könnte man sagen: eine Birne mit Abstrichen. Viel tatsachengetreuer wäre allerdings die Bezeichnung: ein sehr ruhiger, kontemplativer Weihrauch-Koniferenduft, der die beschaulich-meditative und gleichzeitig recht nüchterne Stimmung eines Klosters ganz wunderbar einfängt.

Besinnliche Grüße sendet Euch,

Eure Stephanie.

Bildquelle: Troitse-Sergiyeva Lavra und Trinitylavra von Alex Zelenko – some rights reserved. Vielen lieben Dank!

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Julia Biró Verfasst von:

Bereits 2010 gingen so einige Blogbeiträge auf mein Konto. Dann war ich „kurz“ weg – sechs Jahre. Umso mehr freut es mich, dass ich nun wieder die Chance bekomme, mein Näschen im Dienste der Duftrezension schnuppern zu lassen und eifrig in die Tasten zu hauen. Was Nischendüfte angeht, habe ich damals übrigens schnell Feuer gefangen. Meine Ausbildung tat dazu ihr Übriges: Als diplomierte Biologin kenne ich mich nicht nur mit Fauna und Flora, sondern auch recht gut mit der Herstellung von Ölen und Extrakten aus, was den Reiz der Parfumwelt natürlich noch größer macht.

Ein Kommentar

  1. Lilia Guft-Sokolov
    3. November 2012
    Antworten

    Zagorsk – ist ein außergewöhnlicher, herrlicher Duft!

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