Nachts sind alle Katzen grau

Und manche nicht nur nachts. Unser Kater Benjamin zum Beispiel, seines Zeichens ein hochbetagter Britisch Kurzhaar-Kater allererster Güte, ist auch tagsüber in ein frisches Steingrau gewandet. Unabhängig vom elterlichen Katzenmann ist die Farbe Grau, das muss ich ganz ehrlich sagen, in fast allen ihren Schattierungen eine meiner absoluten Lieblingsfarben (wobei ich die dunkleren Grautöne den hellen vorziehe); ist sie doch meiner Meinung nach zeitlos, elegant und unprätentiös. Völlig zu Unrecht – Ihr seht schon, ich schließe nahtlos an meine Vorgängerrezensionen an, indem ich mich einmal wieder für irrtümlich Benachteiligte einsetze, auch wenn meine guten Absichten zugegebenermaßen rein subjektiv geprägt sind 😉 – hat die unbunte Farbe zwischen Schwarz und Weiß einen recht negativen Ruf. Wikipedia zum Beispiel nennt sie eine reizlose Farbe und sagt weiter:

Generell gilt die Farbe Grau als Langweilig, traurig und nichtssagend, aber auch als elegant. […] Grau gilt als das Symbol für Eintönigkeit und trübe Stimmung. […] Grau ist unauffällig und steht für etwas Unbedeutendes oder Uninteressantes. So spricht man etwa bei einer unscheinbaren („farblosen“) oder schüchternen Person von einer „grauen Maus“. […] Grau steht auch für Sachlichkeit und eine gewisse Unlebendigkeit, die ermüdend wirken kann. Sie wird daher mit Bürokratie und überhaupt mit trockenen, öden, monotonen, faden, unoriginellen, phantasie-, stimmungs-, spannungs- und reizlosen Stoffen, Eigenschaften oder Erscheinungsformen in Zusammenhang gebracht.

Aber:

Graue Kleidung wird hingegen mitunter als sehr vornehm betrachtet, gerade weil sie farblich kein großes Aufsehen erregt und nicht aus der Masse hervorsticht (vornehme Zurückhaltung).

Zumindest ein gutes Haar kann Wikipedia an meiner Lieblingsfarbe lassen, nach all dem Negativgeplänkel. Liebend gerne würde ich jetzt in Euren Köpfen (graues) Mäuschen spielen, nur um zu erfahren, was Ihr, liebe Leser, jetzt für ein Bild von meiner Wenigkeit habt: das Grau-ist-meine-Lieblingsfarbe-Outing in Kombination mit den Wikipedia-Thesen könnte in der Tat für interessante Ergebnisse sorgen. 😉

Aber nicht ich bin das Thema des heutigen Artikels, sondern ein Duft, der für mich die absolute Verkörperung der Farbe Grau ist: Préparation Parfumée von Andrée Putman. Lieber Christian, dank Dir bin ich überhaupt auf den Duft gestoßen (Danke! Danke! Danke!), hatte schon vor dem Testen (anhand der Duftnoten) ein ganz bestimmtes Bild im Kopf, welches sich während des Testens zu meiner Begeisterung absolut manifestiert hat. Geschaffen im Jahre 2001 von der Meisterin der transparenten Düfte: Olivia Giacobetti. Doch zuerst ein paar Worte zu Frau Putman, die ihre Karriere als Journalistin bei der Vogue begann, bevor sie als Designerin und Innenarchitektin international bekannt wurde. Wie man deutlich schnuppern kann, lag Frau Putman mit ihrer Entscheidung, die talentierte Französin Giacobetti für die Kreation ihres Signatureduftes zu verpflichten, genau richtig, waren doch die Vorgaben Frau Putmans ganz nach Giacobettis kreativem Geschmack:

„Wir sprachen über Holz, nasses Holz, Holz nach dem Regen, Treibholz, über Wasserlilien und Korianderblätter. Ich wollte ihn, den Duft, leicht und frisch, wollte dass er sowohl für Frauen, für Männer als auch für Kinder ist. Ich hoffe sehr, dass dieser Duft dieselbe Klarheit und Zurückhaltung hervorruft, die auch in allen meinen anderen Kreationen präsent ist und von der mein Werk lebt.“

Leichtigkeit, Frische, Klarheit, Zurückhaltung – Begriffe, die Frau Giacobettis Düften von Natur aus innewohnen. Passend dazu wurde auch der Flakon des Eau de Colognes gestaltet: sehr schlicht und puristisch. Ebenso wie die Duftnoten: Grauer Pfeffer, Nymphaea (Seerose) Koriander, Treibholz. Kurz und bündig – ein echter Giacobetti eben!

Teststreifen und Haut sind sich hier im Großen und Ganzen einig, weshalb ich auf beide nicht gesondert eingehen werde. Frisch aufgesprüht offenbaren sich sogleich pfeffrig-scharfe Noten, die alsbald von aquatische Tendenzen begleitet werden; eine zart-wässrige Floralität, sehr subtil, sehr leicht. Dezente Kräuter- und trockene Holznoten gesellen sich hinzu; ergeben im Konglomerat eine einzigartige Duftinterpretation der Farbe Grau. Doch wie komme ich darauf? Meine Phantasie trägt mich beim Schnuppern des Duftes an einen Strand. Nein, nicht nach Sommer-Sonne-Hulahula-Waikiki-Beach oder so etwas ähnliches. Ein rauer Strand mit Steinen statt weißpudrigem Sand, der in Norwegen, den nördlichen USA oder Grönland liegen könnte, wie der Strand auf unserem Foto hier. Sturm peitscht das Meer auf. Es ist trübe und kalt. Ich friere. Der Himmel wolkenverhangen. Gedankenverloren schlendere ich am Ufer entlang. In Einklang mit mir selbst und der kargen Landschaft. Der Wind trägt die Gischt des Meeres an Land. Hier und da liegen große Stücke Treibholz auf dem steinigen Strand. Ausgezehrt von den Gezeiten haben sie ihre natürliche Farbe verloren, passen sich der unwirtlichen Umgebung an. Variationen von Grau wohin man blickt. Die harte Realität des Nordmeers, eingefangen in einem wunderschönen Duft, der die deutliche Handschrift Frau Giacobettis trägt. Transparent, klar, zurückhaltend und dennoch von einer einzigartigen Präsenz und Ausdrucksstärke, dass ich mich dem Zauber kaum zu entziehen vermag. Auf beinahe magische Weise schafft es Frau Giacobetti, feinste Wasserassoziationen zu evozieren ohne den Maritime Noten-Knüppel zu schwingen. Dazu noch die trockenen Noten des ausgezehrten Treibholzes, die dezente Schärfe, die… Ihr seht, ich gerate ins Schwärmen, schwelge schon wieder in Erinnerungen an meinen imaginären Ausflug an die raue See. 🙂

Préparation Parfumée ist ein absolut alltagstauglicher Allroundduft. Ich würde ihn Männlein wie Weiblein und eigentlich auch jeder Jahreszeit zuordnen. Natürlich muss man sich im Klaren sein, dass man beim Auftragen keinen Kawumm-Kracher zündet; es ist ein kühler, sehr subtiler, ruhig-meditativer Duft. Ein Understatement par excellence. Modern, minimalistisch und eine Spur melancholisch. Oder besser: Ein Traum in Grau.

Einen schönen Tag wünscht Euch,

Eure Stephanie.

Bildquelle: Kater Benjamin ist eine Privataufnahme. Driftwood von Tom Burke – some rights reserved. Vielen lieben Dank!

Neueste Kommentare

Julia Biró Verfasst von:

Bereits 2010 gingen so einige Blogbeiträge auf mein Konto. Dann war ich „kurz“ weg – sechs Jahre. Umso mehr freut es mich, dass ich nun wieder die Chance bekomme, mein Näschen im Dienste der Duftrezension schnuppern zu lassen und eifrig in die Tasten zu hauen. Was Nischendüfte angeht, habe ich damals übrigens schnell Feuer gefangen. Meine Ausbildung tat dazu ihr Übriges: Als diplomierte Biologin kenne ich mich nicht nur mit Fauna und Flora, sondern auch recht gut mit der Herstellung von Ölen und Extrakten aus, was den Reiz der Parfumwelt natürlich noch größer macht.

4 Kommentare

  1. Christian
    12. Oktober 2010
    Antworten

    Liebe Stefanie,
    klasse – freut mich, dass Du nun ausführlich über diesen wunderbaren Duft berichtest; und ja: Traum in Grau trifft es doch gut, ich bin gefühlsmäßig mit diesem Duft auch eher an der Nordsee als am Mittelmeer und fühle mich seit Wochen wohl dabei. Einer der schönsten Duft-Kreationen des Jahres!
    Christian

  2. Ulrike
    12. Oktober 2010
    Antworten

    SOFORT möchte ich Benjamin als Gatten für meine Zora haben, jawohl! Und PP fand ich nebst der Farbe Grau eh schon immer klasse, genauso wie Deinen Artikel liebe Steffi!

    Herzlichst, die Uli.

  3. Christiane
    12. Oktober 2010
    Antworten

    Ach Uli, was hast Du denn gegen rote Kater – meiner ist doch auch schnucklig;-)- den Grauen würde ich aber auch glatt adoptieren…
    Und ansonsten schließe ich mich Dir und Christian an: ein wundervoller Artikel für einen wundervollen Duft.

  4. Steffi
    12. Oktober 2010
    Antworten

    Ihr Lieben,
    vielen, vielen Dank für die Blumen! So ein wunderschöner Duft macht es einem aber auch leicht, darüber ins Schwärmen zu geraten… und wer eignet sich für eine Kolumne über eine Interpretation von Grau bildlich besser als der elterliche Kartäuserkater?
    @Uli: leider ist der gute Benjamin ein wenig verschroben und eher einzelgängerisch, was nicht nur seinem mittlerweile hohen Alter zuzuschreiben ist, nein, er war schon immer ein eher individuelles Gemüt; womit er ja dann auch wieder ganz wunderbar zu Zora passen würde. Vielleicht sollten wir die beiden dann doch mal zusammenbringen. Vielleicht erkennt Benjamin ja eine Seelenverwandtschaft und wirft sein kätzisches Eremitendasein über Bord? Einen Versuch wäre es wert, denke ich 😉
    Einen schönen Abend wünscht Euch allen!
    Steffi
    (die sich für morgen schon mal die Phiole mit Préparation Parfumée bereit legt – Frau Giacobetti sei gedankt für diesen Allrounder!)

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