1885 Bains Sulfureux oder: die Anfänge von Les Bains Guerbois 1885

1885 Bains Sulfureux bildet den chronologischen Anfang unserer Rezensionsreihe. Gestern hatte ich Euch bereits recht ausführlich die Hintergrundgeschichte der neu bei uns im Shop gelandeten Kollektion von Les Bains Guerbois erzählt – für diejenigen, die es verpasst haben, lest hier.

Les Bains Guerbois 1885 gehören zum gleichnamigen Pariser 5 Sterne-Boutique-Hotel, das in der Rue du Bourg-l’Abbé 7 seine Heimat hat. Das Haus, die Räumlichkeiten, sind seit jeher ein „Place to be“ gewesen, ein Publikumsmagnet, obschon mit wechselnder Ausrichtung. Anfänglich befand sich an diesem Ort ein Badehaus, ein Thermalbad, das im ausgehenden 19. Jahrhundert zu einem Treffpunkt von Künstlern, Intellektuellen und den oberen Zehntausend wurde, die sich dort vornehmlich in den Abendstunden entspannten. Die nächste Etappe der Geschichte ist ebenfalls eine nächtliche und nahm ihren Anfang Ende der Siebzigerjahre unter dem Namen Les Bains Douches. Diese Lokalität wurde weltbekannt, berühmt und berüchtigt als einer der besten Nachtclubs, in dem sich Stars und Sternchen, Schauspieler, Künstler, Mode- und Medienschaffende jahrelang die Füße wund tanzten. 2016 war das Jahr der Neugeburt und der Startschuss für dessen dritte historische Etappe – als 5 Sterne-Boutique-Hotel ist das Haus Les Bains seitdem erneut Anlaufpunkt für erlauchte Kreise und Gäste aus aller Herren Länder. Die enge Verknüpfung mit Kunst und Kultur ist ebenfalls noch beziehungsweise wieder vorhanden, wie man der Website entnehmen kann, auf der sich etliche Hinweise auf Künstlerkooperationen und Events finden. Das Les Bains umfasst heute neben dem Hotelbetrieb ein Restaurant, eine Bar und einen Club sowie das für den Ort fast schon obligatorische Spa. Abgerundet wird dies, das Erbe dieser Legende wahrend, seit 2016 mit einem Portfolio aus Düften, Körperpflege und Raumduft.

Heute will ich endlich zu den Düften kommen – sieben sind es bisher. Sie alle tragen eine Jahreszahl im Namen, versprechen, uns in die jeweilige Zeit, das jeweilige Jahr zu entführen, zeichnen olfaktorisch die reichhaltige Geschichte des Hauses nach.

Vorhang auf demnach an diesem Freitag für 1885 Bains Sulfureux!

Das Badehaus oder: wie alles begann – 1885 Bains Sulfureux

„Climb the front steps and enter the Bains Guerbois. This is Paris, 1885. The newly opened temple of well-being and beauty emanates fragrances of flowers, plants and herbs. The scent of an evocative concoction blending bergamot, jasmine, rosemary and mandarin wafts from the Turkish and Russian baths. The very air of the establishment is full of a thousand essences of tolu, labdanum, tonka, benzoin, incense and musk. Enchantment and release for body and spirit.“

Die Ingredienzen:
Kopfnote: Bergamotte, Rosmarin, schwarze Johannisbeere, Mandarine
Herznote: Orangenblüte, Jasmin
Basisnote: Tolubalsam, Benzoeharz, Kaschmirholz

Parfumeur: Dorothée Piot

1885 Bains Sulfureux bezieht sich, wie unschwer zu erahnen, auf das Eröffnungsjahr des Badehauses, welches ein gemeinsames Unternehmen von Vater und Sohn Guerbois war. Guerbois Junior hatte, wie in meinem Artikel von gestern ausführlich dargelegt, bereits ein Kultcafé geleitet, das quasi zur Wiege des Impressionismus wurde, tummelten sich dort über Jahre hinweg zuverlässig jeden Abend Manet, Monet und deren Freunde und  Bekannte, Künstler, Maler, Literaten, wohin das Auge blickte. Diese wanderten irgendwann einmal ab in ein anderes Café, eine andere Bar – wie es halt so ist, ein anderer Ort wird zum Trend, kommt in Mode. Guerbois hatte allerdings seine guten Kontakte immer noch, das hat sicher dabei geholfen, was ihm und seinem Vater in den nächsten Jahren gelang: das Badehaus Les Bains Guerbois zu einem It-Place zu machen, einem Publikumsmagnet für besagte Künstlerkreise als auch die oberen Zehntausend. Über lange Zeit war das Badehaus angesagt und extrem gut besucht, gelangte deshalb und wegen seiner Gäste zu nicht unbeträchtlicher Berühmtheit.

https://pixabay.com/de/photos/wasser-bad-badewanne-bad-2598130/

Der zweite Namensbestandteil des Duftes 1885 Bains Sulfureux hebt ab auf eine uralte Tradition des Heilbades – das sogenannte Schwefelbad, welches bereits seit der Antike als eine Art eierlegende Wollmilchsau bei diversen Erkrankungen eingesetzt wurde.

Zugegeben, der Geruch ist meist keine Wohltat, der für die meisten Nasen unangenehm duftende Schwefel besitzt aber einige durchaus interessante Eigenschaften: er wirkt antiparasitär, antimikrobiell (genauer: antibakteriell und antifungal) sowie keratolytisch (Hornzellen und Verhornungen lösend) und somit entzündungshemmend. Insofern wird er schon lange zur Behandlung von Hauterkrankungen eingesetzt wie beispielsweise Neurodermitis, Exkzeme, Rosazea, Akne, Seborrhö (er hemmt die Talgproduktion), Schuppen und bei Pilzinfektionen.

Darüber hinaus beeinflussen Schwefelbäder den Kreislauf: sie bewirken eine Erweiterung der Gefäße, Haut und Bindegewebe werden so stärker durchblutet, der Stoffwechsel wird gefördert genauso wie die Sauerstoffaufnahme im Blut, können zudem zu einer leichten Blutdrucksenkung führen. Auch bei Gelenk-, Knochen- und Wirbelsäulenbeschwerden werden Schwefelbäder häufig angeraten, zudem haben sie, vor allem so man sie warm genießt (bei Kneipp gibt es auch Schwefelbäder, wer Kneipp kennt, weiß allerdings, dass diese kalt sind), eine muskelentspannende Wirkung.

Ein netter Nebeneffekt: Der Psyche schadet das Räkeln im warmen Wasser sicherlich auch nicht, ganz im Gegenteil. Und wenn man dann noch solch nette Unterhaltung hat, die im Les Bains Guerbois sicherlich gang und gäbe war, schätze ich, kann dieser Aspekt als zusätzlicher Pluspunkt gelten, oder nicht?

An die Schwefelbäder und somit die Ursprünge des Hauses Les Bains Guerbois als Thermalbad erinnert heute noch eine Tafel in der Nähe des Eingangs.

Les Bains Douches, 7 rue du Bourg-l’Abbé, Paris 3e 2
Gedenktafel am Gebäude heute, die auf dessen Vergangenheit als Thermalbad hinweist (Guerbois-Bäder, Schwimmbad, türkische und russische Bäder, schwefelhaltige Dampfduschen usw.) Celette / CC BY-SA

Für die Umsetzung dieses ersten Duftes hat man sich Dorothée Piot ins duftende Becken geholt, die wir unter anderem für ihre Düfte für Amouage (Fate Woman, Figment Woman, Memoir Woman, Myths Man) kennen, darüber hinaus für Kreationen wie by Kilian Criminal of Love, Jovoy Les Jeux sont Faits, Jul et Mad Stilettos on Lex sowie Terrasse à St-Germain, Maison Crivelli Bois Datchaï, Majda Bekkali J’ai fait un rêve clair, Olfactive Studio Chambre Noire oder auch den tollen Yohji Yamamotos Y-3 Black Label kennen. Gibt es den eigentlich wieder? Ich bin nicht mehr auf dem Laufenden diesbezüglich, wisst Ihr da mehr?

https://www.pexels.com/photo/person-holding-lighted-cigarette-stick-4156344/

Wir begeben uns mit 1885 Bains Sulfureux demnach ins Paris der Jahrhundertwende, in dem das Les Bains Guerbois lockte: ein Tempel der Schönheit und eine Oase des „Wellbeing“, um das neudeutsche Wörtchen zu bemühen.

Ich stelle mir das gedanklich so ähnlich vor wie eines jener Thermalbäder mit historischem Ambiente, die nach wie vor existieren. In Deutschland sind sie nicht so spektakulär wie beispielsweise in Budapest. Kurbad und Landeshauptstadt zugleich ist Budapest nicht nur deshalb ein Unikat, die ungarische Stadt gilt auch als größte Kurstadt Europas mit ihren mehr als Hundert heißen Quellen, deren Wasser man ihn knapp zwei Dutzend Bädern und zehn Heilbädern genießen kann. Warum komme ich darauf? Weil ich schon lange einen Budapest-Ausflug auf meiner To Do-Liste habe, unter anderem eben wegen eines Besuchs im überaus bekannten Gellért-Bad. Dieses gehört seit seiner Entstehung zum gleichnamigen Hotel – letzteres zählt zu den bekanntesten historischen Hotels Europas, das Bad zu den schönsten Thermalbädern Ungarns, vielleicht auch Europas. Wiener Jugendstil, soweit das Auge reicht – wunderschön, googelt ruhig einmal!

Männerthermalbad im Géllertbad Zairon / CC BY-SA

Ein solches Fest für alle Sinne im Kleinformat, so stelle ich mir das damalige Les Bains Guerbois vor. Augenschmaus und Zufluchtsort der Entspannung und Entschleunigung, darüber hinaus wohltuend duftend …

Als „orientalisch, floral, zitrisch“ ist 1885 Bains Sulfureux gelabelt, das kommt auf eine Weise hin, obschon es etwas nichtssagend ist. Unisex ist er mit einer klitzekleinen Tendenz in Richtung Männerwelt und für mich eine Art Neuinterpretation des klassischen Cologne-Motivs auf sehr besondere Weise und dementsprechend innovativ, obschon er gleichwohl traditionell wirkt. Mich nimmt er von den ersten duftenden Metern an für sich ein: authentisch duftet er, natürlich, erinnert tatsächlich an warme Bäder und Sauna, ohne allerdings wie ein Fichtennadelschaumbad oder ein dampfend-dichter Finnlandsaunaaufguss zu riechen. Die Kopfnoten sind auf das Feinste aufeinander abgestimmt – eine Mischung aus zitrischer Frische und Kräutern, die fruchtige Herbheit von Bergamotte und schwarzen Johannisbeeren harmonieren perfekt. Dunkelgrün-krautiger Rosmarin mischt tatkräftig mit, darüber hinaus gesellt sich die saftige Süße frischer Mandarinenschnitze hinzu, von lieblich-anmutigen Orangenblüten akzentuiert. Jasmin hält sich sehr zurück, erscheint weniger floral und erst recht nicht präsent, sondern verrichtet sein Werk im Hintergrund – er cremt, was den Wellness-Charakter des Duftes sowie seinen Relax-Faktor deutlich unterstreicht. Und dann ist da noch die Basis, die vor allem Wärme und Würze generiert, einhüllt und umhüllt. Eine erlesene Auswahl an Harzen, von ebenfalls cremiger Vanille sacht-süß begleitet, Patschuli, wie so oft Tiefe und Körper stiftend und verhalten pudernd, darüber hinaus ein Quentchen Weihrauchnebel, der zwischen Kühle und Wärme oszilliert. Hölzer, allen voran balsamisches Sandelholz, runden das duftende Geschehen gekonnt ab.

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Obschon 1885 Bains Sulfureux kein „In Your Face“-Kandidat ist und auch nicht „Ich bin neu und besonders besonders“ brüllt, fallen mir wenige Düfte ein, die vergleichbar wären. Der Takt, seine olfaktorische Aussage, erinnert mich wie schon erwähnt einerseits an klassische Colognes, von denen er sich aber andererseits auch wieder grundlegend unterscheidet.

Rosmarin tönt deutlich, eine Seltenheit in Düften, was mir absolut positiv auffällt. Gab es schon einmal einen Saunaduft, einen ähnlichen? Mir fallen zum Thema Sauna, Dampfbad, spontan nur sehr wenige Düfte ein … Six Scents hatten in ihrer Series 2 mal einen, der in Kooperation mit dem dänischen Avantgarde-Modedesigner Henrik Vibskov entstandene Duft Nummer 3 namens Solar Donkey Power. Calé Fragranze d’Autores Tepidarium gleicht dank seiner Rumnoten eher einem Spa-Besuch in exotischeren Gefilden. Das war es eigentlich auch schon – und beide habe ich als nur sehr entfernt ähnlich in Erinnerung.

An was ich in diesem Zusammenhang aber denken muss, sind die tollen Düfte von YVRA, vor allem die beiden ersten 1958 und 1979. Wer diese Kreationen von Jean-Claude Ellena mag, kann beherzt testen.

Ein sehr gelungener Einstieg in die Kollektion von Les Bains Guerois 1885 – ich bin furchtbar neugierig, wie es weitergeht! Jetzt aber zuerst ein schönes Wochenende für Euch, meine Lieben –

herzlichst

Eure Ulrike

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Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

2 Kommentare

  1. Kathi
    20. Juli 2020
    Antworten

    Hey liebe Uli,
    herzlichen Dank für deinen wie gewohnt sehr gut recherchierten, herrlich ausschweifenden und aus dem Alltag entführenden Artikel!
    Hach ja, was soll ich sagen. Noch ein Kandidat zum testen… so langsam aber sicher verliere ich den Überblick 😉 Ich finde mich hier wieder in schwarzer Johannisbeere (!), Kräutern, Orangenblüten, (zurückhaltendem) Jasmin, Sandelholz. Zuu viele Matches! 😀
    Ganz liebe Grüße!

  2. Avatar photo
    Ulrike Knöll
    27. Juli 2020
    Antworten

    Huhuu liebe Kathi,

    da habe ich offensichtlich nicht nur mich, sondern auch andere oder zumindest: Dich zum Testen angefixt mit den Rezensionen zu Les Guerbois 1885 – freut mich 😉
    Ich finde die LInie wirklich cool, ich denke, man merkt es. Ziemlich genau nach meinem Geschmack: Coole Historie, reichhaltig, nicht hinkonstruiert. Tolles Packaging bzw. Design, exzellente Parfumeure und ebensolche Düfte – kann was!
    Ich bin auch schon am fleißigen dauertesten der Düfte, denn ich glaube, der eine oder andere „muss“ auch bei mir einziehen 😉
    Solltest Du testen – ich bin sehr gespannt, was Du meinst bzw. wie Du sie findest!

    Herzliche Grüße

    Uli

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