Dunkle Träumereien mit Antonio Alessandria …

… hegen wir heute – und zwar mit Noir Obscur und Nuit Rouge, den letzten beiden Düften des Erstlingstrios der Marke. Der Mond als Muse und die Nacht zum Thema haben sie, was sich bereits im Anfangsbuchstaben ihres Namens ausdrückt. Schauen wir uns doch mal an, wie der Sizilianer Antonio Alessandria diese beiden Nachtschwärmereien umgesetzt hat.

Das Spiel der Schatten – Noir Obscur

„In der Finsternis einer Neumondnacht bahnt sich die Erinnerung an sein Licht einen Weg durch die verschlungenen Pfade der Seele, um sie zu erhellen. Weich wie eine Wolke, sinnlich wie Samt, köstlich wie die Sünde.“

Die Ingredienzen: Kopfnote: Orange, Mandarine, Davana, Rum, Gewürze; Herznote: Bulgarische Rose, Jasmin, Iris, Osmanthus; Basisnote: Leder, Patchouli, Vetiver, Zedernholz, Weihrauch, Ambra, Moschus.

Ok, Neumond kann verwirrend sein – genauso wirkt, ehrlich gesagt, der Text momentan auf mich: Neumondnacht oder -nächte, die strahlten – aufgrund von einer Affäre, einer Liebelei, einer leidenschaftlichen, in deren Erinnerung man jetzt schwelgt, verstehe ich das richtig?

In jedem Fall beeindruckt mich die matt-schwarze Flasche, das ist ein Statement. Tintenschwarz und samten präsentiert sie sich – und lässt gleich erahnen, dass Noir Obscur auf eine Art kompromisslos sein könnte … Ist er es wirklich? Ab auf die Haut, würde ich sagen!

Dort angekommen strömt meiner Nase zuallererst Opulenz entgegen, die auf mich schwelend wirkt: Es drängen sich noch keine Noten in den Vordergrund, ich nehme Gewürziges wahr, Pudriges, Blüten und Fruchtiges, Trockenfruchtiges? Als erstes lösen sich die Zitrusfrüchte aus diesem wabernden Wunderwerk, saftige Orangen und köstliche Mandarinen, die von einer pudrig-pfeffrigen Schärfe kontrastiert werden, der etwas Dumpfes innewohnt – Gewürznelke, eventuell mit Piment? Die Pudrigkeit sieht sich verstärkt von Iris und Rose, die leise Vintage-Anklänge zaubern, während unsere Rose darüber hinaus auch samtig-ledrige Noten beiträgt.

An dieser Stelle kommt mir die Farbe des Flakons wieder in den Sinn – zum Duft passt sie meiner Meinung nach nicht wirklich, der ist für mich ein moderner Orientale mit einem gewissen Retrocharme, der eher im Bordeauxrot-Braun-Goldenen anzuordnen ist. Fasst man es etwas weiter und abstrahiert, wird wieder „ein Schuh“ oder vielmehr ein gelungenes Ganzes daraus: Die Nacht, die schwarze, in eben dieser nicht alle Katzen grau sind, sondern die an die unendlichen Möglichkeiten erinnert und … verführt. Eine Verführerin ist Noir Obscur nämlich, ein sinnlicher, femininer Orientale.

Likörig-alkoholisch umwirbt er einen noch dazu: Die Blüten und das Leder scheinen samt Gewürzen mitunter beschwipst, eine Facette, die ich persönlich sehr gerne mag und für die unter anderem auch Davana verantwortlich sein könnte. Noir Obscurs Basis, Ihr seht es schon, ist harz- und vor allem auch holzlastig – sie zeichnet weich, raucht sanft, holzt und wärmt, betont den orientalischen Charakter des Duftes, aber auch seine feminine Pudrigkeit und verleiht Körper.

Noir Obscur ist, obschon Ihr vielleicht anderes vermutet, weniger „schwierig“ im Alltag zu tragen (wie es bei vielen Orientalen der Fall ist) und trotz seiner luxuriösen Üppigkeit dennoch leise. Er hat zwar eine gute Sillage und Haltbarkeit, bleibt aber näher an der Haut als viele seiner Gattungsgenossen, was ihn auch für diejenigen attraktiv macht, denen manch ein Orientale zuviel des Guten ist. Dennoch wird er auch eingeschworene Liebhaber begeistern – allerdings tendiert er klar in Richtung Frau. Ob er auch an einem Mann funktioniert? Ich denke, das muss aber ganz klar ein besonderer Typ Mann sein.

Für mich ist die Zielrichtung von Noir Obscur recht klar: Einerseits dürfte er all denjenigen gefallen, die die Orientalenklassiker der großen Häuser lieben. Freunde von alten Lutens-Kreationen sollten hier ebenfalls einen Test wagen. Und andererseits wird er sicherlich auch Liebhaber von Düften wie Frapins 1697 oder 1270, ferner vielleicht auch Lubins Idole erfreuen.

Der Tanz auf dem Vulkan – Nuit Rouge

„Ein silbern schimmernder Mond erhellt die frostige Nacht. In der Dunkelheit zeichnen sich die Konturen eines Vulkans ab. Der rote Schein einer unvermittelten Eruption erregt Furcht und Faszination zugleich.“

Die Ingredienzen: Kopfnote: Bergamotte, Limette, Schwarze Johannisbeere, Grapefruit, Rhabarber; Herznote: Geranium, Iris, Safran, Schwarzer Pfeffer, Muskatnuss, Kaffee; Basisnote: Leder, Zedernholz, Patchouli, Sandelholz, Weihrauch, Vanille, Tonkabohne, Moschus

Die rote Nacht in Verbindung mit dem angesprochenen Vulkan – das triggert selbstverständlich sofort die Phantasie. Und wenn dann noch von Kaffee und Leder die Rede ist, macht mich das natürlich noch neugieriger … Vor lauter Kaffee habe ich vollkommen überlesen, was mir entgegenstürmt, sobald Nuit Rouge auf der Haut ist, und was ich ebenso liebe – Rhabarber. Und was für einer – wow, eine sehr eindrucksvolle Rhabarbernote, prägnant und wundervoll. Saftig, herb-fruchtig und verhalten holzig, er ist einfach mein Lieblingsduftgemüse, der alte Melancholiker. Die Zitrusfrüchtchen unterstreichen seine dynamische Spritzigkeit, Geranium verstärkt minzig-grün und frisch. Ein Quentchen Pfeffrigkeit und Safranledrigkeit sowie Wärme, und zwar Kaffeewärme, eine herrlich tiefgründige und reine (keine Latte mit Applecrumbles, Cinnamon und weiß nicht was). Getragen wird diese Köstlichkeit von einer Basis, die vorrangig aus Hölzern und Vanille besteht. Vanille und Tonka, ihre würzige Schwester, wie ich immer salopp zu sagen pflege, stiften gourmandige Anklänge, eine feine Süße, die den Duft dennoch nicht für Männer aus dem Rennen katapultiert, ganz im Gegenteil. Der Weihrauch hält sich nobel zurück, umhüllt sanft-rauchig, während die Hölzer wärmen und würzen.

Für mich ist Nuit Rouge ein Duft für Großstadtabenteurer – er passt perfekt in die Nacht, brodelt, lockt mit seinen vielen Facetten, seiner Ambivalenz. Die Kombination von Rhabarber und Kaffee ist genial: Die dynamische Frische in Verbindung mit der sinnlich-würzigen Wärme ist spannend und hat Sexappeal, wenn man das von einem Duft behaupten kann. Ich sehe ihn an Männern wie Frauen gleichermaßen – und überlege ernsthaft, ob ich ihn haben muss …

Nuit Rouge ist mein Liebling und ein schöner Abschluss der Kollektion – habt Ihr schon getestet? Kennt Ihr die Düfte von Antonio Alessandria?

Viele liebe Grüße

Eure Ulrike

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Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

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