Ein Kommentar

  1. Ulrike Knöll
    30.Mai 2017
    Antworten

    „Wo die Mäßigung die Balance der Willenskraft über den Instinkt behaupten kann, erfährt man durch sie erfüllende Augenblicke der Freiheit.“

    Lieber Harmen,

    an dieser Stelle komme ich nicht umhin, den Bildungsproleten raushängen zu lassen und empfehle Dir erneut, wie früher schon einmal, den guten alten Kant mit seiner nicht allzu langen Schrift „Über Pädagogik“, die es natürlich auch online gibt: http://www.deutschestextarchiv.de/book/view/kant_paedagogik_1803?p=11
    oder auch hier, besser lesbar: http://www2.ibw.uni-heidelberg.de/~gerstner/V-Kant_Ueber_Paedagogik.pdf
    Leider wird der Text nur sporadisch neu aufgelegt, wieso auch – die Biographie von Bohlen oder Klum läuft sicherlich besser ….

    Nichtsdestoweniger ist diese kurze Schrift eines der beeindruckendsten Werke über Erziehung, über „Menschwerdung“.

    Kant leitet mit folgendem Satz ein: „Der Mensch ist das einzige Geschöpf, das erzogen werden muß. Unter der Erziehung nämlich verstehen wir die Wartung (Verpflegung, Unterhaltung), Disziplin (Zucht) und Unterweisung nebst der Bildung.“

    Er versteht darunter:
    – Wartung = elterliche Fürsorge, Abhalten von Gefahren, Ernähren, Grundbedürfnisse der Existenz sichern
    – Disziplin/Zucht = „Disziplinieren heißt, suchen zu verhüten, daß die Tierheit nicht
    der Menschheit in dem einzelnen sowohl als gesellschaftlichen Menschen zum Schaden gereiche. Disziplin ist also bloß Bezähmung der Wildheit.“ Eine „negative“ Angelegenheit (im Sinne von „frei machen von“) – die Unterwerfung unter Gesetze (nicht unbedingt nur staatlich verfasste), die im Rahmen eines gesellschaftlichem Leben unabdingbar sind, sowie das Wecken der Vernunft(tätigkeit) < ---> im Gegensatz zum „wilden“ Menschen, der sich an seine Freiheit so sehr gewöhnt, dass er weder vernünftig handelt noch rücksichtsvoll (die Freiheit anderer nicht einschränkt)

    Darauf folgt der „positive“ Anteil der Erziehung (das Ausbilden, Wecken von …), Unterweisung und Bildung:
    – Kultivierung = Unterweisung in Geschicklichkeit; „Kultur begreift unter sich die Belehrung und die Unterweisung. Sie ist die Verschaffung der Geschicklichkeit. Diese ist der Besitz eines Vermögens, welches zu allen beliebigen Zwecken zureichend ist. Sie bestimmt also gar keine Zwecke, sondern überläßt das nachher den Umständen.“ Hierzu gehört z.B. das Schreiben, Rechnen, Lesen, handwerkliche Fertigkeiten etc.
    – Zivilisierung = das Klugwerden bzw. -sein, das geweckt werden soll, genauso wie das Erlernen der kulturell und zeitlich abhängigen Gepflogenheiten (Manieren etc.)
    – Moralisierung = „Der Mensch soll nicht bloß zu allerlei Zwecken geschickt sein, sondern auch die Gesinnung bekommen, daß er nur lauter gute Zwecke
    erwähle. Gute Zwecke sind diejenigen, die notwendigerweise von jedermann gebilligt werden und die auch zu gleicher Zeit jedermanns Zwecke sein können.“ – das erinnert natürlich an den kategorischen Imperativ („Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Oder auch im Volksmund: „Was Du nicht willst, das man Dir tu …“)

    Der allerwichtigste Punkt für Kant: „Der Mensch kann entweder bloß dressiert, abgerichtet, mechanisch unterwiesen oder wirklich aufgeklärt werden. […]
    Mit dem Dressieren aber ist es noch nicht ausgerichtet, sondern es kommt vorzüglich darauf an, daß Kinder DENKEN lernen. “

    Denken lernen als Haupterziehungsziel. Und, als oberste Stufe der Erziehung bzw. Abschluss einer gelungenen ebensolchen, als höchstes Erreichbares: Die Moralisierung im Sinne einer Einsicht und einem Glauben an „das Gute“ sowie dem demgemäßen Handeln. Einer Einsicht, dass eine Selbstgesetzgebung und somit Mäßigung, Abstriche machen zugunsten (der Freiheit) der Anderen, notwendig ist, dass eine bewusste Entscheidung für die Einschränkung der eigenen Freiheit eigentliche Freiheit bedeutet – wow. Wenn das mal nicht aktuell ist.

    Und da wären wir dann auch schon wieder bei Kants „Was ist Aufklärung?“ – kurz, aber von einer absoluten und unabweisbaren Aktualität –> http://gutenberg.spiegel.de/buch/-3505/1

    So, jetzt bin ich durch mit meinem Exkurs, habe die Schrift einmal wieder und einmal mehr genossen und mich an ihr erfreut. Die Pröbchen werde ich selbstverständlich auch testen – und im Gegensatz zu Dir kann ich mich ganz bestimmt auch an „Opas Rasierwasser“ mit Sandelholz erfreuen, zumal so etwas auch ganz vorzüglich in hippe Barbershops passen würde 😉

    Liebe Grüße,

    Uli

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