Musc Ravageur, Lipstick Rose & Angeliques sous la Pluie …

… heißen sie, die drei Düfte der Frédéric Malle-Kollektion, denen ich mich zum Anfang dieser Woche noch ausführlich widmen möchte. Danach habt Ihr erst einmal eine Zeit lang Ruhe vor mir, denn ich habe … Urlaub!  Harmen wird Euch in dieser Zeit ein wenig mehr als sonst unterhalten, er hat sich eine große Kollektion angesehen, die es endlich auch bei uns gibt – mehr wird noch nicht verraten 😉

Ich hoffe, Ihr habt genauso viel Freude wie ich am gemeinsamen Entdecken der Kollektion von Frédéric Malle? Ich hatte es schon in meinen ersten Artikeln zum Thema erwähnt: Ich möchte sie komplett vorstellen, Stück für Stück, Duft für Duft. Denn für mich persönlich ist es sicherlich eine der schönsten Kollektionen auf dem Duftmarkt: Die Düfte sind in Gänze überragend, etwas, das man selten findet. Es ist doch meist so wie bei … Musik: Selten gibt es Alben, die vom ersten bis zum letzten Song überdurchschnittlich schön, vielleicht sogar perfekt sind. Meist springt einem ein einzelnes Stück ins Auge oder besser ins Ohr, andere fallen dagegen im Vergleich ab. Bei TV-Serien ist es ja ebenso, wenn ich schon am vergleichen bin. Mit Sicherheit gefällt dem einen oder der anderen ein einzelner Malle-Duft besser, ein anderer weniger gut – das ist bei mir natürlich auch nicht anders. Objektiv muss man aber neidlos feststellen, dass die Kollektion keinerlei „Rohrkrepierer“ enthält, um es drastisch zu formulieren. Alle Düfte sind besser als der Querschnitt dessen, was sich auf dem Markt befindet, Punkt, prägnanter Punkt. Und viele davon sind schlicht und einfach herrlich. Von den Parfumeuren muss ich an dieser Stelle erst gar nicht anfangen – Malle hat es geschafft, die Creme de la Creme zu verpflichten und somit zu versammeln. Kein zweifelsfreier Garant für Qualität (denn auch Größen können mal Nonsens abliefern), aber ein Faktor, der ebendiese wahrscheinlicher macht. Und, was Malle angeht, ist diese Wahrscheinlichkeit eben auch eingetreten.

Musc Ravageur ist der erste Duft, den wir uns heute unter die Nase klemmen werden:

muscravageur „Launched in 2000, this composition was a turning point in the history of amber orientals. A sensual perfume, powerful yet perfectly controlled, dramatic and mysterious. Composed by Maurice Roucel as an “act of seduction and generosity”, Musc Ravageur is an uncompromising Oriental, which runs against current fads. Its explosive departure of bergamot, tangerine and cinnamon is set against a backdrop of vanilla, musk and amber. A sexy, turbulent perfume, in a word: ravageur.“

Musc Ravageur wurde von Maurice Roucel kreiert, über den man bei Malle Folgendes lesen kann:

„Maurice Roucel joined the Chanel laboratories as a chemist in 1973. This self-taught man defines himself as an „explorer that wanders through formulas“. At the time, he started breaking down then studying each formula, each raw material from a part aesthetic, part chemist perspective that still is his strength today. His generous writing is often based on musk notes, white flowers or amber. That is how he obtains an opulent sensuality that is his signature. Maurice Roucel’s strong personality allows him to bypass trends. That is how he created Musc Ravageur a perfume that ran against the fads of the time, a forerunner of all the new orientals that emerged in 2001.“

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Bildquelle: Frédéric Malle, all rights reserved.

Mich erinnert Roucel immer ein wenig an Asterix und Obelix, und das meine ich durchweg positiv: Er sieht für mich so sympathisch verschmitzt aus und wirkt wie ein sehr sympathischer und durchweg interessanter Zeitgenosse.

Zu seinen bisherigen Kreationen zählen unter anderem Amouage Reflection Woman, Atkinsons 1799 Amber Empire (einer meiner Favoriten des letzten Jahres), Serge Lutens Iris Silver Mist (entweder alleine oder in Zusammenarbeit mit dem „normalen“ Lutens-Parfumeur Christopher Sheldrake), Linari Acqua Santa, LeLabo Ciste 18 und Jasmin 17, Bond No. 9 Broadway Nite sowie New Haarlem und Riverside Drive, Hermès 24 Fabourg, Guerlain Insolence, Lalique pour Homme sowie einige Parfums für Kenzo, Lolita Lempicka, Rochas und mehr.

Hier erzählt er selbst über sein Schaffen:

Zu Recht kann man Musc Ravageur als eine Art Flagschiff dessen bezeichnen, was ich normalerweise als modernen Orientalen betiteln würde: Orientalen haben es heute mitunter nicht einfach, sind sie doch oft sehr üppig und gewürzig, opulent, ausladend und schwer. Das wird von vielen als „too much“ wahrgenommen, oftmals auch schlicht als etwas old-fashioned. Musc Ravageur ist auch kein leichter Duft, allerdings schafft er es spielend, überaus modern zu wirken – und das trotz der Ingredienzen, die auf den ersten Blick sehr klassisch rüberkommen: Kopfnote: Bergamotte, Mandarine, Lavendel; Herznote: Gewürznelke, Zimt; Basisnote: Guajakholz, Moschus, Ambra, Sandelholz, Tonkabohne, Vanille, Zedernholz.

Warum tut er das? Weil er … eine Art Jicky des 21. Jahrhunderts ist. Jicky, Guerlain? Die erste Lavendel-Vanille. Musc Ravageur zitiert diese wundervolle Kombination aus ernst-würzigem Lavendel und herrlicher Vanillecreme. Das ist so dermaßen köstlich, dass man am liebsten hineinbeißen würde – insofern hat dieser Orientale definitiv Gourmandanleihen, denn unsere Vanille wird hier von ihrer würzigen Tonkaschwester noch unterstützt und kokett von scharf-süßem Zimt geküsst. Die Nelke sorgt für Pfeffer, Guajakholz tut das, was es am besten kann und wofür ich es liebe: Balsamisch-warme und süße holzige Anklänge stiften, von Sandelholz tatkräftig unterstützt. Die Hesperidenfrüchtchen dienen dazu, eine Balance zu schaffen, und der Moschus, der namensgebende, tja … der ist vor allem weich, weich, weich und latent animalisch, allerdings auf subtile Art und Weise.

Musc Ravageur macht keine Gefangenen, da gebe ich dem Namen recht: Er ist sinnlich, erotisch und hinterlässt sicherlich niemand ohne eine dezidierte Meinung zu seiner Aussage. Will sagen: Man liebt ihn – oder man hasst ihn, das denke ich trifft hier schon zu. Ich persönlich finde ihn toll und sehe ihn nicht nur an Frauen, sondern definitiv auch an dem richtigen Vertreter des männlichen Geschlechts, an dem er wirklich atemberaubend sein könnte …

Lipstick Rose ist mittlerweile Kult, genauso wie der Parfumeur des Duftes:

lipstickrose „Inspired by the very particular fragrance of his mother’s lipstick that he smelled when kissing her, Ralf Schwieger created Lipstick Rose. A perfume that is both regressive and a modern take on Hollywood glamor, Lipstick Rose smiles at you, like a dash of lipstick with its rose and violet-flavored candy scent. It embodies an alluring woman, part Gilda, part socialite. Grapefruit and violet enhance the fragrance’s rose note. The backdrop is musk and vanilla with a hint of vetiver and amber. A vision of glamorized feminity in technicolor.“

Ralf Schwiegers Hintergrund wird von Malle wie folgt zusammengefasst:

„Born in Germany, Ralph Schwieger carried from his childhood memories of the smell of forests, moss and wood. A chemist by training, he joined Roure Bertrand Dupont when he turned thirty. His already strong technical ability allowed him to transcribe his ideas into his compositions. He talks about his trade like a construction game, part cerebral, part intuitive, a game that starts with an intellectual and conceptual phase, followed by long, sensual almost tactile research. His very structured writing and his desire to compose perfumes that are out of the ordinary give his work an unusual personality.“

Anlässlich der Ausstellung „“The Art of Scent 1889 – 2012 „, die 2012 im Museum of Art and Design in New York stattfand, hat er (wie einige andere Parfumeure auch, es lohnt sich, mal nachzuschauen!) ein interessantes Video-Interview gegeben:

Ralf Schwieger hat sich bisher vor allem hervorgetan durch einige Düfte für Atelier Cologne (Ambre Nue, Cédrat Enivrant, Orange Sanguine, Pomélo Paradis, Vanille Insensée), auf sein olfaktorisches Konto gehen aber auch The Afternoon of a Faun und Fils de Dieu für État Libre d’Orange, Iris Nazarena für Aedes de Venustas und in Zusammenarbeit mit Nathalie Feisthauer Eau des Merveilles für Hèrmes, um nur einige zu nennen.

Lipstick Rose ist eine Rose, unzweifelhaft. Und zwar eine ganz besondere – selten trifft eine Duftbeschreibung eines Herstellers den Nagel so auf den Kopf wie in diesem Fall: Lipstick Rose duftet nach … Lippenstift. Und zwar so, wie er früher sehr viel häufiger gerochen hat als heute, wo Lippenkosmetik entweder gar nicht riecht oder häufig auch mit ganz schrecklichen Früchtchen „veredelt“ wird. Hier ist es Lippenstift, der pudrig-kandiert nach Veilchen und Iris duftet, und das in Verbindung mit einer jungen und auf subtile Art und Weise fruchtigen Rose. Deren Fruchtassoziationen zielen in Richtung Hesperidenfrüchtchen, es bitzelt ein wenig zitrisch, was dem Duft Balance und, ja, Jugendlichkeit schenkt, obgleich wir es hier mit einem Damenduft zu tun haben. Will sagen – nichts für Teenager. Unsere Frau hier ist sinnlich und erwachsen, definitiv, genauso wie auch die schöne Thérèse, die ich Euch bereits vorgestellt habe.

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Lipstick Rose ist auf seine einzigartige Weise gleichzeitig modern und Vintage und ein solch schöner weiblicher Duft – hach, der Herr Schwieger muss seine Mutter wirklich gerne mögen – oder sie zumindest für eine sehr attraktive Frau halten. Denn Lipstick Rose ist letztendlich – eine Ode an die Frau, nicht nur an die Lippenzier, die sie trägt 😉

Kommen wir zum Abschluss zu Angeliques sous la Pluie:

angeliquessouslapluie „Inspired by the fleeting whiff of an angelica bouquet gathered after the rain, Jean-Claude Ellena’s creation plays out like a subtle chamber music arrangement. Deceptively simple, Angéliques sous la Pluie merges with the skin of the person who wears it. Made of the spicy and tonic notes of angelica roots, juniper berries, pink pepper and coriander, this composition lies on a bed of musk and cedar wood softening the whole to create a comforting caress. A splash of emotions.“

Der Duft ist, neben Cologne Bigarade und L’Eau d’Hiver, den Händen von Jean-Claude Ellena entsprungen, über dessen Wirken ich schon mehrfach berichtet habe. Jetzt in Rente (so zumindest offiziell) war er jahrelang Hausparfumeur bei Hermès und hat das Haus durch seine fast unzähligen Düfte nachhaltig geprägt. So gut wie alle Kreationen aus den letzten zehn, fünfzehn Jahren gehen auf sein olfaktorisches Konto. Des Weiteren schuf er First für Van Cleef & Arpels, den grünen Tee für Bulgari sowie Eau de Campagne für Sisley, Colonia Assoluta für Acqua di Parma, Déclaration für Cartier und viele mehr. Und er gründete mit seiner Tochter Céline The Different Company, für die er natürlich auch an den Phiolen werkelte. Bekannt ist er für seinen minimalistischen, häufig an Aquarelle erinnernden Stil.

Jean-Claude Ellena

Quentin Bertoux „Portrait of perfumer Jean-Claude Ellena“ via Wiki Commons – CC BY-SA 3.0

Darüber hinaus hat er auch einige bemerkenswertes Bücher geschrieben, unter anderem Journal d’un parfumeur, über das er hier (auf französisch) erzählt:


Jean-Claude Ellena – Journal d’un parfumeur von Librairie_Mollat

Zwei der Werke sind bisher in deutscher Sprache erschienen, besagtes soeben genanntes unter dem Titel „Der geträumte Duft – Aus dem Leben eines Parfumeurs“ sowie „Parfum: Ein Führer durch die Welt der Düfte“.

Engelwurz im Regen – das wäre die wörtliche Übersetzung unseres Ellena-Schönlings, der einmal mehr ein wunderbares Aquarell aus der Phiole des Meisters ist. Wer hier laute Töne erwartet, ist wie so oft bei Ellena ganz falsch – Angeliques sous la Pluie illustriert das ganz deutlich: Subtil ist er, ein Duft der Nuancen, der Anklänge, der Zwischentöne. Und doch hat er eine prächtige Sillage, zumindest auf meiner Haut.

angeliques_sous_la_pluie_mood

Ein Kammerspiel, so würde ich den Duft nennen, wenn er ein Film wäre – und die Regeln sind doch die gleichen: Wenn es so reduziert ist, muss es richtig gut sein, müssen die Hauptdarsteller exzellent sein. Sie sind es – und Ellena weiß einmal mehr selbstredend was er tut. Angelika und Wacholderbeeren sind ein perfektes Team, dunkelgrün-schillernd, aromatisch, würzig und herb-fruchtig, vor allem aber in Wasser getaucht, in ganz viel Wasser. Das ist so wunderbar erfrischend, beruhigend und kontemplativ, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass jemand Angeliques sous la Pluie nicht mögen könnte – unabhängig davon, ob man ihn denn nun selbst tragen möchte oder nicht. Ich möchte, keine Frage. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass Liebhaber von Andrée Putmans Préparation Parfumée ebenfalls wollen. Ansonsten fallen mir wirklich keine Düfte ein, die auch nur entfernt vergleichbar sein könnten, was wiederum für Ellenas Können spricht.

Mein Angeliques sous la Pluie ist leer – und gerade bereue ich das wirklich. Es bleibt mir an dieser Stelle also nur, mit dem guten alten Mick um die Wette zu schluchzen und … alsbald für Nachschub zu sorgen 😉

Bis bald meine Lieben, bleibt mir gewogen!

Alles Liebe,

Eure Ulrike

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Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

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