Einen tiefen Blick in die Schublade …

… werfe ich heute einmal für Euch – und zwar habe ich, wie Ihr Euch sicherlich denken könnt, darin noch etliche Pröbchen, die in letzter Zeit aufgrund der Masse an Neuem noch nicht zum Zuge gekommen sind. Ich habe heute einfach ziellos gekramt und mir einen Duft geschnappt, der schon länger einer Rezension harrt und den ich Euch somit heute vorstellen möchte.

Eine verhängnisvolle Affäre auf Italienisch – Romanza von Masque Fragranze

masqueromanzaIII – II ROMANZA
[Victorian Narcissus]
The studio was filled with the rich odour of roses…

Act III Scene Two
Daylight is breaking in. What time is it? The Green Fairy inspired throughout your nightlong endeavours and now you’re done. Your beautiful subject is still there facing you. …such a beautiful poser… So well dressed, so carefully groomed, so irresistibly debonair, …beautiful and intoxicating… as intoxicating as the indolic smell of the flowers in full bloom, coming from the garden. So weird – only yesterday you were just friends. Bees hopping from one flower to another, perpetuating the amazing circle of life. Butterflies in your stomach. What is going on? What is this vertigo? Overwhelming attraction, stirring you up. Still you are not in love – yet.

A delightful Italian word describes all this sublimely: Innamoramento.

Der dritte Akt, die zweite Szene – Masque Fragranzes Duft Romanza ist neben L’Attessa die zweite Neuveröffentlichung dieses Jahr, wobei ich ehrlich gestehen muss, dass ich mit den Kapiteln mittlerweile ein bisschen aus dem Konzept komme … egal. Die Ingredienzen werden vom Haus wie folgt beschrieben:

The Appearance – DANDY’S TOUCH

Absinth (Artemisia), Orange Blossom, Angelica

The Soul – HEDONIST BOUQUET

French Narcissus Abs., Violet Leaves, Jasmine

The Ineluctable – TIME REVENGE

Decadent Woods (Vetiver, Cedarwood, Patchouli), Amber Accord, Myrrh

Von hedonistischen Dandys ist hier die Rede, das Wörtchen „viktorianisch“ fällt im selben Atemzug. Ein Boudoir oder auch ein Gesellschaftszimmer, ein Herren(spiel)zimmer ist der Ort und der Beobachter, der ebenso gut eine Sie sein könnte, nichts Genaues weiß man nicht, ist … bezirzt. Die grüne Fee entlässt ihn langsam aus ihren Fängen, will sagen: der Alkoholschleier lichtet sich langsam, aber sicher, am nächsten Morgen – und hinterlässt Fragen über Fragen … und ein angenehmes Gefühl, obschon ein ohnmächtiges, aber im positiven Sinne. Was ist passiert zwischen dem Abend gestern und dem heutigen Morgen, der vermutlich eher ein (Nach)Mittag ist? Am Anfang war die Unschuld, die vermeintliche, vielleicht lag aber da schon dieses Flirren in der Luft, das unbeschreibliche, das sich stetig zu verdichten vermochte. Unser Beobachter gleich welchen Geschlechts ist – fasziniert. Nein, eigentlich ist es schon mehr – in den Bann gezogen, den Bann eines Dandys und auf dem besten Wege, diesem mit Haut und Haaren, mit Körper und Seele zu verfallen … wenn das nicht schon passiert ist.

Oscar Wilde Sarony

Ein Schuft, wer Böses denkt … und wem in diesem Zusammenhang nicht zwei Namen einfallen, der Autor und seine bekannteste Schöpfung: Oscar Wilde und Dorian Gray. Ein Narziss ist Dorian, der reiche und schöne Jüngling aus dem einzigen Prosawerk von Wilde: Auf der Suche nach ewiger Schönheit geht er in faustscher Manier einen Pakt mit dem Teufel ein, woraufhin an seiner statt ein Porträt von ihm altert. Jenes Porträt, wir alle wissen es, enthüllt aber auch den wahren Charakter des Dorian und wird von Tag zu Tag hässlicher, weil Dorian im weiteren Verlauf des Romans zügellos und ohne Rücksicht auf Verluste (der anderen, selbstredend) seine Leidenschaften auslebt, an der Grenze des Wahnsinns balancierend und darüber hinaus. Freud hätte daran sicherlich seine Freude gehabt, hat er vielleicht auch – zeitlich würde es passen. Das Ende des Bildnis‘ des Dorian Gray ist ebenso bekannt – Dorian, unfähig Liebe zu jemand anderem als zu sich selbst zu empfinden, scheitert gleich seinem antiken Vorbild an sich selbst und bringt sich bei dem Versuch, das Porträt zu zerstören, (versehentlich?) um.

Ein Roman, der mich seinerzeit sehr für sich einzunehmen wusste – ich sollte ihn nach fast zwei Jahrzehnten vielleicht doch einmal wieder zur Hand nehmen. In jedem Fall ist mir Dorian aber auch anderweitig über den Weg gestolpert: Fleißige Leser werden es wissen, ich bin ein Fan amerikanischer Serien, und in eine davon fand Dorian Eingang – Penny Dreadful.

Ein buntes Wirrwarr an literarischen Vorlagen wurde hier verwurstet und obgleich es sich nicht um eine der Topserien handelt, hat sie mir bisher doch Spaß gemacht, nicht zuletzt wegen der Szenerie und der großartigen Eva Green in der Hauptrolle. Einmal mehr ist aber der Dorian leider vollkommen fehlbesetzt – für mich ein immerwährendes Problem: In keiner mir bekannten Verfilmung hat man ihn überzeugend besetzt. Er ist, einmal abgesehen vom jeweilig persönlichen Geschmack hinsichtlich der Optik, immer zu blass, zu farblos. Es mangelt an Charisma, an der Fähigkeit zu verführen durch die gesamte Erscheinung. Aber vielleicht ist da ja auch genau die Crux des Dorian: Er ist zwar äußerlich attraktiv und weiß mit Wissen, Besitztümern und ähnlichem zu brillieren, es mangelt ihm aber an Geist, an Persönlichkeit, die sich durch Werte manifestiert. Dorian ist im eigentlichen Sinne nicht unmoralisch, er ist amoralisch, denn er bekennt sich zu keinen festen Werten oder Glaubenssätzen, er irrlichtert durch die Welt, getrieben von seinen unstillbaren Begierden und scheinbaren Sehnsüchten, zerstörerisch im Ausmaß ihrer Ausübung, was im letztendlich zum Verhängnis wird. Ist er schön? Nein. Denn Schönheit bedingt Geist, zumindest meiner Auffassung nach – und Dorian ist letztendlich nur Hülle, den er besitzt kein Selbst, entwickelt keine Persönlichkeit, existiert letztendlich nur, ist aber nicht.

Ihr seht schon, ich habe bei diesem Thema Feuer gefangen und Ihr seid deshalb in den „Genuss“ eines kleinen literarisch-philosophisch-psychologischen Exkurses gekommen 😉 Über den Dandy und das Dandytum wurde viel geschrieben, letztendlich ist der Begriff allerdings früher nicht unbedingt positiv geprägt gewesen – und ist auch heute noch ein zweischneidiges Schwert. Eitel, oberflächlich und selbstverliebt, ein Geck – das ist die gängig negative Auffassung eines Dandys, in diesen beiden Zitaten ganz herrlich zum Ausdruck gebracht:

„Der Dandy ist ein Mann, dessen Status, Arbeit und Existenz im Tragen von Kleidung besteht. Er widmet jedes Vermögen seiner Seele, seines Geistes, seiner Geldbörse und seiner Person heldenhaft der Kunst, seine Kleidung gut zu tragen: Während die anderen sich kleiden um zu leben, lebt er, um sich zu kleiden.“ (Thomas Carlyle in Sartor Resartus, 1834)

„Der Dandy muss sein ganzes Streben darauf richten, ohne Unterlass erhaben zu sein, er muss leben und schlafen vor einem Spiegel.“ (Charles Baudelaire, Tagebücher)

Ich selbst habe den Eindruck, dass der Dandy-Begriff heutzutage oftmals auch positiv besetzt ist – zumindest in verschiedentlicher Hinsicht: Der moderne Dandy ist für mich ein Lebemann, ein gut angezogener, charmant, gebildet und gepflegt, darüber hinaus mit einem gewissen Nerd-Touch behaftet hinsichtlich seiner Leidenschaften – ein Sammelhobby vielleicht, ein skurriles. Ich erinnere mich noch an ein früheres Date von mir, der leidenschaftlich auf Flohmärkten nach Familienalben und alten Fotos stöberte und sich die seltsamsten, die er fand, zu Hause aufhängte, um hernach jedem, der seine Wohnung betrat, zu erzählen, dass das seine Ahnengalerie sei. Oder der Mann, der Füllfederhalter aus der Schweiz sammelte, bevorzugt alte bekannter Edelmanufakturen genauso wie Schreibpapier, handgeschöpftes. Ich wünschte, er hätte mir nur mal damit Briefe geschrieben 😉 Ein adäquates Beispiel für einen modernen Dandy ist für mich Lapo Elkann, skandalumwitterter (gehört sich ja so …) Spross des Fiat-Klans – seht beispielsweise hier bei Sartorialist.

masquefragranze

By Kavewall – CC BY 2.5 –> https://creativecommons.org/licenses/by/2.5/Geschliffener Smaragd

By LesFacettes (Own work) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

Unser viktorianischer Narzissus hier, Romanza, ist in jedem Fall ebenfalls ein rares Geschöpf: Im Auftakt stürmt mir sogleich die herbe Bitterkeit des Wermuts in die Nase, grün-krautig (Angelika hilft hier tatkräftig mit) und mit einem Unterton, der mich in seiner Strenge an Birkenteer oder auch bestimmte Oudsorten erinnert, eventuell auch Cypriol, das oftmals in den Oudakkorden der großen Aromastoffhersteller verwendet wird. Ich gehe zurück, halte inne, schnuppere weiter … und entdecke sogleich danach eine likörig-sämige, mich in der Tat an den etwas dickflüssigen Absinth erinnernde Facette, der zudem die ganz typische, seltsam an Waldmeister erinnernde Süße innewohnt. Hier ist wirklich Absinth drin, meine Lieben – nicht jeder Duft, der jenen zitiert, vermag es, diese grüne Fee auch wirklich nachzubilden. Das lässt Romanza schwelgerisch wirken und kündet bereits von der sinnbildlichen Dekadenz, der sich der Duft verpflichtet sieht. Wie dunkelgrüner Samt wabert mir diese Köstlichkeit in die Nase, um nicht viel später anzumerken, dass sie weit weniger schwer und opulent ist, als man dem Thema vielleicht zuschreiben könnte. Ich bin nun gedanklich eher bei einem schillernden Smaragden voller Leuchtkraft, selten und schön – ein perfekter Schliff, dessen Sachtheit und kühles Feuer durch dahingehauchte Orangenblüten verführen. Gefasst ist er in Silber, metallisch glänzend dank der darüber hinaus ein wenig wässrig wirkenden Hyazinthe, die die dunkle Transparenz des facettierten Steines, die im Licht für Schattenspiele sorgt, zur Geltung bringt. Melancholisches Veilchengrün umrankt, während jene fast schon ätherische Absinthnote noch von weitem ruft, sich auf edel-herben und dezent warmen Hölzern zur Ruhe bettend.

Monday Afternoon Blues

412 Digital „Monday Afternoon Blues“ via Flickr – CC BY-ND 2.0

Mmmh, ja, doch – Romanza ist ein moderner Dandy. Das viktorianisch-sinnliche Moment ist hier entstaubt und zeitgemäß, der Duft keinesfalls schwer oder überladen, dennoch komplex und raumgreifend, hin und her oszillierend, Ambivalenz versprechend und Tiefe und Leichtigkeit (des Seins natürlich …) spielend vereinbarend.

Prinzipiell für uns Frauen ebenfalls tragbar sehe ich Romanza allerdings eher am dafür gemachten Mann zur Geltung kommend.

Habt Ihr schon getestet, wie seht Ihr das? Und – Oscar Wilde, gelesen ja oder nein? 😉

Viele liebe Grüße,

Eure Ulrike

P.S.: Penny Dreadful kann man sich im übrigen gut ansehen: Die Schauspieler sind zum Teil hochkarätig, die Ausstattung top (wenn man darauf „steht“ wie ich), die Geschichte recht spannend und ja, die literarischen Bezüge auch recht hübsch obschon bunt durcheinander gemischt (Dorian Gray meets Frankenstein meets Jekyll & Hyde meets Dracula). Eine nette Abendunterhaltung zum „Wegsehen“, natürlich nicht ohne die mittlerweile obligatorischen Vampire 🙂

Neueste Kommentare

Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

Schreibe den ersten Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert