Neu aus NY: Nomenclature …

… sind soeben bei uns im Shop gelandet und ich bin sehr neugierig auf die Düfte, denn – sie sind rein synthetisch.

Wie sehr amüsiert es mich immer, wenn ich ich in irgendeiner Parfumerie oder in einem der großen Kaufhäuser stehe, in denen mittlerweile die Nischendüfte und -marken Einzug gehalten haben, und mir dort dann irgendjemand vom Verkaufspersonal erzählt, dass Marke X, Y, Z ja ganz besonders und luxuriös sei, weil … alles reine Natur. Nur natürliche Ingredienzen, keine billige Chemie. Was für eine Irreführung des Kunden und – was für ein Irrglaube!

Chemistry Lab

Ed Uthmann „Chemistry Lab“ via Flickr – CC BY-SA 2.0

Komplett natürliche Düfte gibt es heutzutage wenige, wie auch? Ein Großteil der Fixateure aus der Basis sind synthetisch. Viele Stoffe, die man noch vor Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten verwendete, dürfen heute gar nicht mehr in Parfums verwendet werden, sei es aus Tierschutzgründen (Moschus, Zibet, Bibergeil/Castoreum zum Beispiel) oder auch aufgrund von Regulierungen, zum Teil auch übertriebenen, hinsichtlich ihrer allergologischen Bedeutung. Und, was vielen auch nicht klar ist: Natur ist nicht immer teurer als Chemie. Selbstredend ist Tuberose, echte, bis heute schwierig zu ernten und deren Essenz aufwendig in der Herstellung, insofern ein teures Blümelein. Auch Iris ist nicht nur eine majestätische Blüte, ihre Essenz, aus der Wurzel gewonnen, gehört zu den kostspieligsten Blumenessenzen. Ambra, echte, ist aufgrund ihrer Seltenheit so gut wie unbezahlbar. Oud – dazu brauche ich nichts zu sagen, eine der wertvollsten Ingredienzen. Dann gibt es sicherlich noch das eine oder andere Blümchen oder Kräuterlein, das nur in einer bestimmten Region unter schwierigen Umständen wächst und deshalb teuer ist. Aber: Es gibt auch synthetische Stoffe und Aromen, deren Herstellung aufwendig und kompliziert ist und die deshalb keinesfall günstig sind. Und – natürliche Ingredienzen wie beispielsweise die Öle jeglicher Hesperiden sind auch nicht immer teuer, selten oder kompliziert herzustellen.

Ich persönlich finde Düfte am schönsten, die eine „gesunde“ Mischung aus natürlichen und synthetischen Essenzen enthalten, wie es bei den meisten Parfums im Nischenmarkt auch die Regel ist. Es gibt meiner Meinung nach nur wenige Marken, sehr wenige, die es beherrschen, aus rein natürlichen Ingredienzen Düfte zu machen, die nicht, pardon, duften wie die Mischung für eine Duftlampe, die ich im Ökoladen um die Ecke kaufe, wo sie direkt neben den Zimtschlappen steht. Etwas mehr Komplexität darf dann doch schon sein.

chemistry

Hans Splinter „Chemistry (A collection of chemical compounds from 1875-1900)“ via Flickr – CC BY-ND 2.0

Aber kommen wir zurück zu Nomenclature: Der Begriff kommt natürlich aus dem Lateinischen und steht für „ein Namenssystem oder die Fachterminologie, die in einer bestimmten Wissenschaftsdisziplin, in einem Fachbereich oder in der Kunst verwendet wird.“ Selbstredend landet man sofort gedanklich in der Chemie – und da fällt mir als allererstes einer meiner Lehrer von früher ein, Herr Weber, die coolste Socke vor dem Herrn, und Breaking Bad, eine meiner Lieblingsserien. Im Zusammenhang mit Düften denkt man beispielsweise an Aldehyde, mit denen Chanel No. 5 als einer der allerersten Düfte glänzte, der diese enthielt. Nomenclature zitieren ihn natürlich auch, diesen Klassiker:

„Vielleicht kennen Sie nicht ihre Namen [die der synthetischen Moleküle], aber ihren Duft haben Sie schon gerochen. Möglicherweise duften Sie gerade jetzt nach ihnen. Ohne sie würde Ihr Duft schlichtweg nicht existieren.

Während die natürlichen Essenzen im Rampenlicht stehen, sind die synthetischen Stoffe die heimlichen Aufrührer, die die wohlriechenden Revolutionen entfachen. Die Entdeckung von Cumarin brachte 1881 das erste moderne Parfum hervor: „Fougère Royale“. Aldehyde verliehen „Chanel No5“ seinen abstrakten Glanz. Ethylvanillin unterstrich „Shalimars“ üppiges Dekolleté. Hedion hauchte seinen Glanz in „Eau Sauvage“. Und kein moderner Duft kommt ohne synthetischen Moschus oder das allgegenwärtige Iso E Super aus. Ganz gleich, ob sie die Natur nachahmen, ihr die größten Geheimnisse entlocken oder in botanisch gesehen unmögliche Düfte abschwenken, die synthetischen Stoffe sind die wahren Bausteine der Parfümerie. Elegante Lösungen, entdeckt von Wissenschaftlern, wehen aus den Labors auf die Haut und in Ihre Nase.

Nomenclature huldigt dem Design der Parfumchemie, indem die inspirierendsten und exklusivsten Moleküle von heute präsentiert werden – derart exklusiv, dass einige, bekannt als „Captive“, von den Duftunternehmen streng gehütet werden.

Mit ihrer Serie feiner und fortschrittlicher Kompositionen erkundet Nomenclature ihre komplexen Facetten und ihr Potenzial, als Protagonisten aufzutreten. So demonstrieren sie, dass diese menschengemachten Hybride aus Poesie und Wissenschaft ihre ganz eigene Schönheit besitzen. Die Schönheit der Moderne.“

Ich mag diesen Ansatz durchaus, denn es gibt diverse wirklich schöne synthetische Stoffe, mit denen ich mich umgehend beduften würde, und zwar in Reinform. Einige davon habe ich unter anderem auch kennengelernt bei meinen Parfumeursbekanntschaften – unter anderem, sehr witzig, ein Stöfflein, das ziemlich exakt nach gesatteltem Pferd riecht. Würde ich nicht tragen, aber ich rieche soo gerne an diesem kleinen Fläschchen, das mir freundlicherweise geschenkt wurde 😉 Und – denkt bitte auch an Escentric Molecules und deren Molecule 01, das den Siegeszug von Iso E Super beschleunigte und dem interessierten Duftliebhaber die Welt der synthetischen Moleküle und deren Strahlkraft näherbrachte. Zarkoperfume verfolgt ebenfalls ein Konzept, das auf der Kraft der Synthetik beruht.

Hinter Nomenclature stecken zwei Männer, zwei Freunde, Karl Bradl (Aedes de Venustas) und Carlos Quintero. Ersterer ist für die Duftenwicklung zuständig und praktischerweise Parfumdesigner, allerdings kein Parfumeur. Denkt an dieser Stelle beispielsweise an Serge Lutens, dessen Düfte von Christopher Sheldrake entwickelt werden oder an Camille Goutal, die die Linie ihrer Mutter Annick zusammen mit der Parfumeurin Isabelle Doyen weiterführt. Quintero bezeichnet sich selbst als „Renaissance“-Designer, was auch immer das heißen soll, und arbeitete wohl in Italien als auch New York für diverse Duft- und Modeunternehmen als auch Verlage. Bei Nomenclature ist er für das Konzept zuständig:

„Er arbeitete in Italien und New York für renommierte Duft- und Modeunternehmen sowie für Verlage. Von Carlos stammt das mutige modernistische Konzept von Nomenclature: „Wissenschaftler entwerfen diese außergewöhnlichen Verbindungen als elegante Lösungen für ganz praktische Probleme. Zum Beispiel, um ein passendes Gegenstück zu Moschus zu finden, einen ökologischen Ersatz für Sandelholz oder eine kostengünstige Alternative zu Ambra. Ich verliebte mich geradezu in den Gedanken, Design durch Duftchemie zu zelebrieren.“

Vier Düfte sind es, mit denen Nomenclature gestartet sind, iri_del, orb_ital, efflor_esce und adr_ett – ich beginne heute mit einem und habe mir einfach dem Namen wegen adr_ett herausgepickt:

adrett1Helvetolid
Helvetolid gehört zur neuesten Generation der synthetischen Moschusarten (die ältesten stammen von 1888) und wird besonders wegen seiner köstlichen Birnennote geschätzt, es erinnert an Ambrette, einem pflanzlichen Moschusestrakt aus Hibiskussamen. 1991 wurden es vom Schweizer Unternehmen Firmenich patentiert, daher der Name, abgeleitet von Helvetia, dem lateinischen Wort für die Schweiz.

Der Duft: Schwereloser Moschus
Helvetolid verbreitet eine sanft einhüllende und lang anhaltende Aura; ein Gefühl von Ruhe und Leichtigkeit, nicht von dieser Welt. Anstatt Helvetolid „klassisch“ zur Hervorhebung anderer Noten zu verwenden, verstärkte Frank Voelkl seine ätherische Stimmung in einer futuristischen Komposition, die den Duft völliger Schwerelosigkeit beschwört. Ein Rosa-Pfeffer-Komet bringt seine Fruchtigkeit hervor.

Eine kühle, metallische Iris unterstreicht seine Ausprägungen durch Ambrette (das eine Irisfacette besitzt). Ein Nebel aus Vanille, Tonkabohne und Ambra unterstreichen seine Sinnlichkeit. Im Deutschen meint man mit „adrett“ Eigenschaften wie „gepflegt“ und „elegant“: in diesem minimalistischen, klug verschlankten Duft ist jedes Element essentiell – so wie es im Weltraum wäre.“

Der Begriff „adrett“ ist ein herrliches Wörtchen, finde ich – ein aussterbendes, leider. Aus dem Französischen kommend (adroit = gefällig, passend), umfasst seine Bedeutung nicht nur Ordentlichkeit oder Sauberkeit, sondern auch Freundlichkeit und Schönheit.

Frank Voelkl, der Parfumeur, hat unter anderem eine ganze Menge für LeLabo gemacht (beispielsweise den schönen Santal, die Limette und die tolle Iris), darüber hinaus bereits für Dior, Guerlain, Marc Jacobs, Oscar de la Renta, Kenneth Cole, Anna Sui und weitere Düfte entwickelt.

Two beautiful girl on a pink blanket.

Anton Petukhov „Two beautiful girls on a pink blanket“ via Flickr – CC BY 2.0

Mit adr_ett hat er ein Moschuswölkchen kreiert, das in der Tat den ganzen Begriffshorizont seines Namens abdeckt: Gefällig ist er, der Duft, und passt vermutlich immer. Mehr Aura als Parfum verschmilzt er mit der Haut des Trägers, und duftet dabei leicht, transparent und hell. Subtil fruchtige Anklänge treffen auf eine mehlige Pudrigkeit, die mich an Puderzucker erinnert, der sachte über die Haut gestäubt wurde. Kühl und warm gleichermaßen zeigt sich adr_ett wirklich watteweich, zart und sanft die Haut liebkosend. Und – selbstverständlich atmet er Sauberkeit, verströmt das Gefühl, frisch gebadet, eingecremt und leicht gepudert in einer dünnen Kaschmirdecke eingehüllt zu sein, vielleicht auf dem Lieblingssofa oder im Bett. Ein Wohlgefühl, das durchaus auch einen gewissen Sex-Appeal hat.

Wer Moschus an sich nicht mag, der wird auch mit adr_ett nicht warm werden, das ist klar. Ansonsten aber hat adr_ett etwas – er ist ein Immergeher, einer jener Düfte, die natürlich wirken, weil sie zwar sehr wohl duften, allerdings eher die Anziehungskraft des Trägers unterstreichen, indem sie seine Haut betonen, ohne als solches auf den ersten Schnupperer als „Parfum“ wahrgenommen zu werden. Das ist ohnehin eine Idee, die ich jenen Molekül-Düften unterstelle und die durchaus ihren Reiz hat!

Ich bin gespannt, wie sich die anderen Düfte machen – das erfahrt Ihr aber erst nächste Woche 😉

Bis dahin alles Liebe, viele Grüße und ein schönes Wochenende,

Eure Ulrike.

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Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

Ein Kommentar

  1. Natalia
    12. September 2022
    Antworten

    Ich finde diese Beschreibung unglaublich treffend. Was für eine schöne Sprache – so entsteht Poesie im Flakon! Danke für diese Inspiration, finde den Duft auch unglaublich schön. Mir ist egal, dass es nur chemische Inhaltsstoffe hat, es klingt der Natur und dem Leben nicht fremd. Mit seiner raffinierten Strahlkraft wirkt dieser Duft sehr lebendig und modern.

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