Juliette has a Guns Gentlewoman …

… ist eine der Neuerscheinungen der letzten Zeit, die einer Vorstellung harren, welche ich heute einzulösen gedenke – Vorhang auf also für Gentlewoman von Juliette has a Gun.

Gentlewoman kam schon in einem meiner Ankündigungsartikel vor – und selbstverständlich war ich sehr gespannt auf den Duft, mag ich doch das Label sehr gerne und habe auch viele seiner Düfte in meinem privaten Sortiment, unter anderem auch meinen All-Time-Favoriten Lady Vengeance, der bis heute zu meinen absoluten Lieblingsdüften zählt.

JhaGGentlewoman

Wie immer gibt es bei Juliette has a Gun eine gelungene Werbung, diesmal im Neo-Dandy-Stil: Eine Frau im Tuxedo, wie in der lesenswerter Rezension bei Çafleurebon (die auch weitere Fotos zeigt) erwähnt an die früheren Yves Saint Laurent-Werbekampagnen erinnernd. Hier ergibt sich ein schöner Zusammenhang: Sonia Sieff, die Fotografin der Juliette has a Gun-Werbung, ist die Tochter von Jeanloup Sieff, der die ikonischen Nacktfotos von Yves Saint Laurent schuf, welcher wiederum den Tuxedo in der Damenmode einführte Mitte der 60er.

Zum Duft gibt es eine ellenlange, aber sehr nette Einleitung:

„„Mit Gentlewoman wollte ich Frauen einen Hauch eines Dandy verleihen. Eine Komposition konzipiert wie ein Eau de Cologne, deren Hauptfokus auf der Auswahl und der Qualität der Rohstoffe liegt. Die Gentlewoman lässt mich nie kalt. Wie könnte sie? Sie ist modern und mutig. Ich beneide sie um ihre Freiheit, ihren Geschmack, ihren Look. Aber ich will Ihnen gar nicht viel mehr verraten. Entdecken Sie die Gentlewoman doch einfach selbst! Mich hat sie jedenfalls schon erobert.“ Romano Ricci

Der Gentlewoman Code

Regel Nr. 1: Dandyismus
Sie bewegt sich mühelos zwischen Frivolität und Arroganz. Sie beherrscht die Kunst zu gefallen, ohne dabei gefallen zu wollen.

„Dandyismus ist eine Einstellung. Ein immerwährendes Spiel, um der Realität zu entkommen.“ Serge Gainsbourg

Regel Nr. 2: Impertinenz
Sie bewegt sich an der Grenze zur Unverfrorenheit und ist mit verführerischer Unanständigkeit ausgestattet. Es gibt nichts, was sie in Verlegenheit bringen kann. Sie ist mutig und frech, mit beißender Ironie und Schlagfertigkeit.

„Es gibt kein Biest, das so unbezähmbar ist wie eine Frau.“ Aristophanes

Regel Nr. 3: Verwegenheit
Sie verkörpert Stärke im Körper einer Frau. Mutig und aufrichtig – eine berechnende Spielerin – bedient sie sich der nötigen Mittel, um ihre Ziele zu erreichen.

„Frau zu sein, eine richtige Frau, bedeutet vor allem, keine Feministin zu sein.“ Sacha Guitry

Regel Nr. 4: Look
Eleganz ist die natürliche Uniform der Gentlewoman. Sie ist ihre Waffe, ihr Trumpf, um sie alle zu beherrschen.

„Mode ist vergänglich, Stil bleibt.“ Coco Chanel

Regel Nr. 5: Freiheit
Regeln schränken ein. Sie sind dazu da, umgangen, wenn nicht sogar gebrochen zu werden. Sie befreit sich vom Überflüssigen und konzentriert sich auf das Absolute. Je weniger sie braucht, desto freier fühlt sie sich.

„Ein bisschen Freiheit gibt es nicht.“ Lucy Ferry“

Den Herrn Ricci zu erobern – das würden sicherlich einige Frauen gerne, obgleich er mit seinem Guiltry-Zitat ganz bestimmt einige Gemüter erhitzen wird. Ich mag diese Beschreibung einer femininen Dandys: Ein charmanter Schöngeist von Charakter und mit Rückgrat, der gepflegtes Querulantentum kultiviert und sich in seiner Haut als Frau wohlfühlt. Eine schöne Skizze, Chapeau Monsieur Ricci!

Eine Cologne-Interpretation erwartet uns, besinnen wir uns also nochmals auf die Wurzeln, den Ausgangspunkt: Durch was ist ein Cologne gekennzeichnet? Durch seinen Minimalismus. Ein klassischer Aufbau samt einem klaren Duftverlauf. Segen – und manchmal auch „Fluch“ zugleich, wir hatten es neulich davon, und zwar im ersten Artikel über La Manufacture, ich zitiere mich einmal selbst:

„Ein Cologne ist, wie ich finde, auf eine Art und Weise ein Bekenntnis – genauso wie beispielsweise ein Chypre- oder ein Fougère-Duft. Klassische Vertreter dieser Duftfamilien werden heute oftmals als altmodisch wahrgenommen, was ich bis zu einem gewissen Grad auch nachvollziehen kann: Die Dufttrends sind heute andere – Transparenz und Leichtigkeit sowie Gourmands bestimmen einen Großteil der Lancierungen auf dem Mainstreammarkt sowie einem Teil der Nische. Sauberdüfte und Nicht-Parfums gehören in diesen Bereich – und da klingt schon an, was ich an einigen dieser Vertreter kritisch sehe. Klar, auch sowas kann man gebrauchen, aber – ein Statement geht aber anders. Obige Vertreter sind – Statements. Im Falle von Chypre- und Fougèredüften vielleicht noch deutlichere als im Falle eines Colognes, weil diese Düfte eben so gut wie immer Wuchtbrummen sind. Was aber auf alle drei Duftgattungen zutrifft, ist, dass sie ihren festen Stand in der Parfumgeschichte haben. Dass es unfassbar gute Vertreter derselben gibt. Und für mich persönlich sagt das Tragen eines solchen Duftes über seinen Träger eben auch aus, dass dieser (sehr wahrscheinlich) darum weiß. Dass dieser sich in vielen Fällen bewusst für „gute Tradition“ entschieden hat, für ein klassisches Stück Parfumeurskunst, für Historie. Und ganz nebenbei auch dafür sorgt, dass Meisterwerke erhalten und käuflich bleiben – siehe zum Beispiels Piguets Bandit. Oder Acqua di Parmas Colonia.

Darüber hinaus finde ich es toll, wenn sich Parfumeure und Dufthäuser auf jene Duftrichtungen besinnen, diese vielleicht sogar in neuem Gewand präsentieren.“

Ein neues Gewand ist hier der ideale Anknüpfpunkt: Genauso innovativ und neu sowie gleichermaßen althergebracht und traditionell wie Saint Laurents Tuxedo damals möchte auch Riccis Gentlewoman sein und duften. Ein Spagat – das dürfte jedem klar sein. Allerdings ahnt man nach einem Blick auf die Ingredienzen schon, dass man es nicht mit einem typischen Cologne zu tun hat: Kopfnote: Neroli, Petitgrain, Bergamotte; Herznote: Mandel, Orangenblüte, Lavendel; Basisnote: Ambroxan, Moschus.

Mandel? Lavendel? Und eine dichte Moschusbasis?

Mit eben jener mag ich mich vorab noch beschäftigen. Wenn wir bei Aus Liebe zum Duft neue Düfte bekommen, glätten wir die Duftnoten immer, um sie verständlicher zu halten. Das heißt beispielsweise im Falle von Moschus, dass wir im Regelfall nicht die einzelnen Moschusnoten angeben beziehungsweise deren chemische Bezeichnungen, sondern einfach nur als „Moschus“, in seltenen Fällen etwas ausdifferenzierter, deklarieren. Der Grund liegt auf der Hand: Mit Moschus können viele etwas anfangen, man weiß, wie Moschus (ungefähr) duftet – das ist bei bestimmten chemischen Verbindungen dann nicht mehr so klar. Da die Duftnoten dazu dienen, den Charakter des Duftes (näher) zu bestimmen, verzichten wir meist auf eine weitere Klassifikation.

Im Falle von Gentlewoman erscheint es mir aber dennoch erwähnenswert, mit was für Moschusarten Monsieur Ricci gearbeitet hat, nämlich mit Muscenon und Ambrettolid.

Muscenon ist eine Ingredienz, an deren Beispiel man sehr gut sehen kann, dass Synthetik im Vergleich zur Natur in Düften nicht immer „schlecht(er)“ oder gar günstiger/billiger ist: Es handelt sich hierbei um einen sehr teuren Rohstoff, der im Hause Firmenich entstanden ist. Der Kilogrammpreis liegt im Schnitt bei 1200 Dollar – zum Vergleich: Die meisten Mainstreamdüfte kosten deutlich unter 100 Euro pro Kilogramm Essenz … Klar, man wendet eine solche Ingredienz nicht in einer 100%-Dosierung an, aber – wenn alle Zutaten eines Duftes denselben Preis haben, wird das Endprodukt für den Verbraucher quasi unbezahlbar. Viele Blüten beispielsweise liegen in unfassbaren Preisbereichen – aufgrund der Hege und Pflege, der Verfügbarkeit (Wettereinflüsse auf Ernte, Anbaubedingungen), der Technik der Extraktion etc.. Diverse Harze aber beispielsweise sind definitiv auch in guten Qualitäten sehr viel preiswerter als unser Moschuskandidat hier. Wer Interesse am Stöbern hat beziehungsweise sich mal die Preise anschauen mag, die für Rohstoffe so aufgerufen werden, kann das unter anderem hier oder hier tun.

Kommen wir zurück zu Muscenon – die Beschreibung laut Firmenich:

„Odor: A very elegant nitromusk type of odor reminiscent of Musk Ketone, with a slight animal but natural undertone

Use: MUSCENONE is a very powerful musk with two facets. At low dosages (0.05 to 0.5%), it is a fragrance enhancer. Above this level, it is used for its musky character in addition to its boosting effect. It has excellent substantivity on fabric, hair and skin; imparting a musky, powdery, cosmetic softness.“

Ambrettolid gibt es von unzähligen Herstellern. Ein Profi wird die unterschiedlichen Sorten der Häuser vermutlich auseinanderhalten können – ich hatte sie leider alle „roh“ noch nie unter der Nase. Bei Ambrettolid handelt es sich um ungesättigtes Lacton, dass aus Ambrettesamen gewonnen wird und als natürlichere Moschusersatz benutzt wird. Ambrettesamen dürften vielen bekannt vorkommen – der „Lieferant“ dazu ist ein Strauch namens Bisameibisch (Abelmoschus moschatus), der zu den Malvengewächsen gehört. Das aus seinen Körnern gewonnene Ambrettolid duftet nach Moschus, logisch – bei The Good Scent Company kann man sich die Beschreibungen der einzelnen Varianten ansehen. Ich zitiere einmal:

„Ambrettolide –

Symrise: Odor: typical macrocyclic musk fragrance, soft musk-like, reminiscent of elements in ambrette seed oil, with woody, ambergris and floral shades.

Givaudan:Odor: Musky, Powerful, Warm, Ambrette seed, Fruity. Use: Ambrettolide is a macrocyclic musk which has exceptional diffusion and a very fine character. It is unique in that its influence in a composition can be perceived at all evaporation levels. It is a superb fixative and highly substantive, and yet exalts the top note of a fragrance in an exceptional manner.“

Im Gegensatz zu dem leicht animalischen, pudrigen Muscenon weist Ambrettolid fruchtige Anklänge auf, die häufig Assoziationen wecken hinsichtlich roter Beeren. Das behalten wir mal im Hinterkopf. Wer jetzt neugierig geworden ist, der kann sich auch zum Thema Ambroxan einlesen, jenem synthetischen Ambraersatz. Erik Kormann hat in seinem Aromatischen Blog einen hübschen Artikel darüber geschrieben. Des weiteren findet sich ein ebenso lesenswerter Artikel dazu bei Perfumeshrine, siehe hier. Ebenfalls bei Perfumeshrine kann man sich zum Thema Moschus, dessen Geschichte und Verwendung als auch die vielen Sorten tiefergehend einlesen – seht hier.

Ganz schön lang geworden meine Ausführungen, merke ich gerade 😉 Nichtsdestotrotz – ich denke, sie sind hilfreich, um sich unsere Gentlewoman zu erschließen.

we all have stories on our skin

mrsmorningsun „we all have stories on your skin“ via Flickr – CC BY-ND 2.0

Auf der Haut angekommen empfangen mich zart-glitzernde Bergamottesprenkler, die die Nektarsüße von Zitrusfrüchteblüten zum Strahlen bringen. Ein fröhliches Getummel von weißen Hesperidenblüten, neckisch, kinky, heiter und sonnig betört mein Näschen … um kurz danach in den Hintergrund zu treten und hin und wieder herb-holzige Hesperidenanklänge zu präsentieren. Ein Spiel, das mir durchaus gefällt – und das der Duft auf meiner Haut eine ganze Weile zelebriert. Lavendel lässt nicht lange auf sich warten und macht einfach mit – die Orangenblüten krautig kitzelnd, zwischen den Bergamottefrüchtchen hervorschauend. Dieser bringt eine seifige Anmutung mit sich, die den Duft zwischendurch fast schon zu einem Skin-Duft werden lässt, wäre da nicht der Rest des Trios, von dem die Orangenblüten am längsten wahrnehmbar sind. Dazu gesellt sich im weiteren Verlauf eine unerwartete und sehr moderne Mandelnote: Ein klitzekleines Quentchen metallisch ist sie, darüber hinaus samtig-pudrig – und erinnert mich an Pegasus von Parfums de Marly, diese herrliche Herrenmandel. Ambivalenz ist von nun an das Thema: Kühlheit und Wärme wechseln sich ab, Gentlewoman schillert bisweilen marzipanig, wird aber dann von den Zitrusnoten ausbalanciert und kommt irgendwann auf einer erotischen Moschusbasis zur Ruhe: Ein wenig Graphit, viel wolkige Watteweichheit, versteckte grüne Blüten, auf meiner Haut ein Hauch Pfirsich und vor allem auch immer wieder animalischer Puder. Wie soll ich das erklären? Eine Note, die ich so ähnlich beispielsweise von Windhunden kenne: Tierhaut, nicht sonderlich behaart, samtweich und warm. So etwas in dieser Art.

Gentlewoman hat für einen cologne-inspirierten Duft eine gute Sillage. Die Dandy-Assoziation, diese sehr moderne, welche eine Frau eher kühl-distanziert und keck inszeniert denn als Femme Fatale, trifft den Duft ziemlich gut. Gentlewoman ist ein hervorragender Immergeher und Alleskönner mit Charakter – und ich denke, die Herrenwelt wird ihn uns nicht gänzlich überlassen wollen.

Seid Ihr neugierig geworden? Und – wie sieht es aus, welche Düfte von Juliette has a Gun beheimatet Ihr?

Viele liebe Grüße,

Eure Ulrike.

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Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

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