Die Schöne und das Biest: Vierges et Toreros

Mariela

Die Jungfrau und der Stierkämpfer – Etienne de Swardt, Gründer von État Libre charakterisiert Vierges & Toreros als Tuberosen-Duft für den Herrn. Beim ersten Gedanken unmöglich, doch bereits nach der ersten Probe steht fest: die beiden Createurs – hier sind doch tatsächlich zwei Antoines, nämlich die Herren Lie und Maisondieu am Werke – meistern ihre Aufgabe wirklich bravourös.Yá estan aquí los Toreros muertos

Ob dieser Duft oder zumindest dessen Name wohl etwas mit einem Bildband von Christine Spengler zu tun hat? Spengler ist eine in Deutschland nicht sonderlich bekannte Kriegsfotografin. Gegen Ende ihrer Karriere in den 1980er Jahren kehrt die in Madrid aufgewachsene Französin in ihre Heimat zurück, um die berühmtesten Stierkämpfer im Stile religiöser Ikonen abzulichten. Es sind sehr farbenfrohe Aufnahmen, ein Heilmittel gegen Stress und Angst – sie wurde unter anderem als Geisel einer radikal-islamistischen Sekte gefangengehalten. Veröffentlicht wurden diese Aufnahmen zusammen mit Texten von Pedro Almodovar und Christian Lacroix unter dem Titel „Vierges et Toreros“.

Die Tuberose als Sinnbild für die Jungfrau – den ganzen Duftverlauf über omnipräsent, wird von sehr ausgeprägten animalischen Noten, Leder, sowie Costus, die den Torero repräsentieren begleitet. Im Auftakt dominieren ganz klar die würzigen und floralen Noten. Bisweilen habe ich aber fast den Eindruck, dass ich auch Plastik rieche und bin nicht sicher, woher das kommt. Immer mehr drängt dann allerdings das sehr derbe Leder in den Vordergrund, schafft es meiner Meinung nach aber nicht die süße Wucht der Tuberose zu untergraben. Nach einer Weile gesellt sich Costus dazu: jenes an Haare, Pelz und Schweiß erinnernde Kraut, welches unglaublich gut mit Patchouli und Vetiver harmoniert. Zusammen ergibt es eine unglaublich provokante, erotische Mischung.
Tuberose_20080820_3.jpg

Wieder mal ein äußerst starker, sehr eigener Duft von État Libre, mit sehr guter Haltbarkeit. Mit Sicherheit lässt sich behaupten: Aufmerksamkeit ist einem mit diesem Duft gewiss! Wer den großen Auftritt sucht und darüber hinaus einen Hang zur Dramatik hat, der möge diesem Duft eine Chance geben. Wer Opulenz und Tamtam nicht erträgt, sollte allerdings dringendst die Finger davon lassen. Ein Duft für den großen Auftritt in der Arena. Ein sehr gut gemachter Duft, auch wenn ich ihn, zugegebenermaßen, gewiss nicht tragen werde: zu viel nasses Tier, zu viele nach Aufmerksamkeit heischende Ingredienzen. Vielleicht als Geheimwaffe in der Sammlung für den Fall der Fälle? Ich überlege noch!

Harmen

Und wieder steht ein Duft aus dem Haus État Libre d’Orange auf dem Programm. Nach den letzten Kandidaten bin ich natürlich völlig auf zweideutige Assoziationen geeicht, denn beim fetten Elektriker, bei Weihnachten auf Balkonien, dem Zigaretten-Jasmin und den Oral-Maiglöckchen waren die Kompositionen in jedem Fall gegensätzlich aufgebaut, gewürzt mit erotischer Provokation.

Vierges et Toreros – Jungfrauen und Toreros – hier stehen sich ebenfalls zwei Welten gegenüber. Der Torero muss in diesem Fall allerdings keinen Stier bezwingen, sondern eine Jungfrau. Noch habe ich nicht am Duft geschnuppert. Es stellt sich natürlich wieder die Frage, wie dieses Bild olfaktorisch umgesetzt sein mag. Ich vermute jetzt einfach mal, dass für die Jungfrau sicherlich sehr weibliche Noten stehen, etwa Blüten, weiche Anklänge, vielleicht auch der Duft nach weißem Leinen? Der Torero dürfte folglich sehr männlich übersetzt sein, Leder, animalische Noten, möglicherweise Angstschweiß und Adrenalin oder auch gemäß seiner Tötungswerkzeuge Metall, Staub der Arena, Pferdemist…

Ich bin gespannt, was mich nun erwartet. Auf dem Teststreifen sticht mir zuerst ein starker Ledergeruch in die Nase, der von süßlichen, aber auch frischen Noten begleitet wird. Aber wer hört schon alleine auf den Teststreifen.

Die Duftnoten: Kopfnote: Bergamotte, Pfeffer, Kardamom, Muskatnuß; Herznote: Tuberose, Ylang-Ylang, Leder, Costus; Basisnote: Animalische Noten, Patchouli, Vetiver

Jetzt sprühe ich mir den Duft auf die Haut und rieche erst einmal sehr frische Noten, die vermutlich der Bergamotte geschuldet sind und durch den charakteristischen Kardamom unterstrichen und ergänzt werden. Daraufhin kommt wieder das Leder deutlich zum Vorschein in Zusammenspiel mit blumigen Noten – ob es sich nun um Ylang-Ylang oder Tuberose handelt kann ich nicht sagen, aber es handelt sich um eine Süße, die allein schon durch das Leder eine gewisse Schwere erhält. Ich muss sagen, dass dieser Duft „Lonestar Memories“ von Tauer überraschend ähnelt, allerdings ohne dessen Wucht. Wer „Lonestar Memories“ also kennt und schätzt, ist hiermit sicherlich auch an der richtigen Adresse. Die Basisnoten lassen sich für mich nicht genauer aufschlüsseln. Animalisches abgesehen von Leder kann ich nicht erriechen. Nach einiger Zeit wandelt sich das Ledrige ein wenig ins Holzige, ich nehme an, dass dabei der Vetiver an Fahrt gewinnt aber auch die Costuswurzel könnte hier ihre Finger im Spiel haben.

Das ganze Duftkonzept evoziert das Bild des südländischen Macho-Toreros, der eine Jungfrau erobert. Das Logo des Duftes lässt in gewohnter Eindeutigkeit keinen Zweifel daran, dass ihm dies auch gelingt, frei nach dem Sprichwort: „Wenn eine Jungfrau fällt, fällt sie auf den Rücken.“ Ich lehne mich jetzt einmal ganz weit aus dem Fenster: wäre hier nicht folgender Duftverlauf viel passender gewesen: der Lockstoff einer Rose oder auch der verwendeten Tuberose im Kopf, die von der männlichen Ledernote im Herzen im wahrsten Sinne des Wortes defloriert wird, um in salzigen und metallischen Blutzitaten auszuklingen? Das Motiv ist ein uraltes. Das ewige Liebes-Spiel zwischen Mann und Frau, Verführung und Eroberung, das rote Tuch des Matadors, der das Triebhafte aufreizt und anstachelt. Das Tuch taucht am Ende als beflecktes Laken nach der Hochzeitsnacht wieder auf. Und so war es auch schon bei Friedrich de la Motte-Fouqué die Wasserfrau Undine, die sich erst nach jener Nacht zu einem wahren menschlichen Wesen verwandelte. Die Sexualität als Nahtstelle zwischen Natur und Kultur hat seit jeher die Menschen fasziniert. Im altbabylonischen Gilgamesch-Epos ist es andersherum, dort wird der Tiermann Enkidu durch den Beischlaf mit einer Frau zivilisiert und damit seinem Tier-Sein entfremdet. Das Motiv ist archaisch wie es auch der Stierkampf ist. Hier wäre möglicherweise etwas mehr Mut erforderlich gewesen, um diesem alten Bild geruchlich völlig gerecht zu werden. Der Vorteil dieser Umsetzung ist allerdings eine absolute Tragbarkeit. Ich weiß auch, wem der Duft sehr gut stehen könnte. Frauen, die einen Torero auf die Hörner nehmen und dabei ganz süß und wie ein kleines Mädchen lächeln.

Euer Harmen

Hier finden Sie den Duft in unserem Shop

Bildquellen: Yá estan aquí los Toreros muertos by Von Aisaider, on Flickr,
Tuberose_20080820_3.jpg by faeparsons, on Flickr,
Ramón Casas: „Flores deshojadas“ (1894), Édouard Manet: „Toter Torero“ (1864-1865) – beide Wikimedia Commons — some rights reserved, vielen Dank!

Neueste Kommentare

Mariela Verfasst von:

5 Kommentare

  1. margot
    25. Januar 2011
    Antworten

    Hallo ihr beiden,
    da habt ihr euch ja wieder einen schönen Duft ausgesucht 🙂
    Und so schöne, blumige Worte!
    Ich hab den Duft vor Jahren einmal getestet, das war total witzig! Hatte ich auf beiden Handgelenken. Links hatte ich das totale Blütenbouquet und rechts kam der Dampf aus dem Stierpferch zur Geltung, kurz bevor man den Stier bei 30 Grad in die Sonnen und Hitze durchflutete Arena läßt 🙂 Diese Dufterfahrung war total g… 😀

    LG, Margot

  2. Mariela
    27. Januar 2011
    Antworten

    Hallo Margot,
    vielen Dank für Dein Lob!
    Ja, so habe ich den Duft auch empfunden, beeindruckend eigentlich.
    Für Dich dann wohl kein Kaufkandidat, oder?
    Ich bin gespannt was uns aus dem Hause Etat Libre noch erwartet…

    Liebe Grüsse,
    Mariela

  3. Margot
    27. Januar 2011
    Antworten

    Hallo Mariela,

    nein, kein Kaufkandidat 🙂
    Aber wie bereits gesagt, trotz allem bekennender ELdO-Fan!
    Charogne und Like This gehören zu meinen Favoriten und, nicht lachen bitte, Tom of Finland 🙂
    Auch wenn ich nicht alle kaufe oder trage, so ab und zu mal dran schnuppern gehört einfach dazu.

    LG, Margot

  4. Mariela
    28. Januar 2011
    Antworten

    Liebe Margot,
    kann ich gut verstehen, Like This bin ich auch schon verfallen…, Charogne muss ich demnach auch mal testen. Und Tom of Finland liegt hier schon parat, in einer der nächsten Schöne&das Biest Kolumnen wird er unter die Lupe genommen.

    Liebe Grüsse,
    Mariela

  5. margot
    30. Januar 2011
    Antworten

    Ach ja, ganz vergessen: Der Rien ist auch nicht zu verachten. Außerdem finde ich noch die Duftkerze: Bottes et centurion? ganz gut. Habe ich grad gesehen, dass die nicht mehr im Shop sind …

    LG, Margot

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