Messe de Minuit von Etro – Nachtwachen

Nachtwachen von Bonaventura Textauszug

Vor gut 200 Jahren erschien ein Buch mit dem Titel „Nachtwachen“ unter dem Decknamen Bonaventura. Sehr spät erst konnte der Urheber von der Literaturwissenschaft enttarnt werden: mit großer Sicherheit wurde es von dem Schriftsteller Ernst August Friedrich Klingemann verfasst. So geheimnisvoll bereits die Herkunft sein mag, geheimnisvoll geht es auch im Buch selbst zu, wovon der obige Abschnitt und Beginn des Textes einen Eindruck vermittelt.

Von der stürmischen Mondnacht mit ihren rätselhaften Erscheinungen wird hier berichtet, und wir begleiten die Hauptfigur, den Nachtwächter mit dem klingenden Namen Kreuzgang, durch die Stadt. Wir lauschen seinen Ausführungen über die Menschen und ihre Welt, lachen darüber, wie er die ganze Stadt in Aufregung versetzt, als er das Weltende ausruft und auch sonst allerhand Schabernack treibt. Oft hält er sich auch am Friedhof vor dem gotischen Dom auf, sitzt dort mit seiner Laterne wie ein Geist, erschreckt ein Liebespaar, das ihn für eine steinerne Figur hält, oder belauscht die verzweifelten Reden eines Selbstmörders.

August Splitgerber (1844–1918), Public domain, via Wikimedia Commons

Messe de Minuit von Etro – ein Kirchenduft?

Diese kleine, literarische Einleitung kann natürlich nur die Vorrede für einen Duft sein. Vermutlich ist dieses kleine Büchlein einfach nur der ideale Begleiter für selbst unternommene Nachtwachen, aber sicher ist, dass „Messe de Minuit“ von Etro ganz hervorragend als duftende Untermalung taugen würde. Der Name, zu Deutsch „Mitternachtsmesse“, steckt bereits den konzeptionellen Rahmen des Duftes ab. So überrascht es nicht, dass er nahezu einhellig als der Kirchenduft schlechthin durch die Rezensionen geisterte und wenig Spielraum für andere Deutungen zuließ. Auch ich kann nicht umhin, an ein mittelalterliches Gotteshaus zu denken. Verantwortlich für diese Assoziation muss der allgegenwärtige Weihrauch gemacht werden, der hier ganz klar das Zepter in der Hand hält und den Duft von Anfang bis Ende durchregiert, ohne hingegen aufdringlich zu werden.

Messe de Minuit von Etro

Heilig und verrucht

Ein Parfum, das nach heilig riecht, ist ja bereits an und für sich eine Provokation, da es im besten Falle der profanen Selbstbeweihräucherung dient, im schlimmsten Falle aber als Lockstoff den fleischlichen Gelüsten Bahn bricht. Von den fleischlichen Gelüsten in der Kirche haben wir alle in letzter Zeit reichlich gelesen, was hier jedoch passiert ist zwar verboten, nicht aber kriminell.

Es ist vielmehr Eros als Agape, der hier unterschwellig mittönt. Nach dem Aufsprühen erweist sich der Duft als frisch und von Krautigem durchsetzt, ein wenig muss ich auch an Tannennadeln bzw. Harz denken, was nun ganz gut zur weihnachtlichen Mitternachtsmesse passen würde. Dann kommen die weicheren Noten zum Tragen, die ich als Vanille und Zimt angegeben finde.

Es ist kein todernster Weihrauch, er ist von süßlichen Noten untergraben, gewissermaßen ein Luftzug von dolce vita, der den Hauch von Ewigkeit unterbricht, und mich an eine kleine alte Steinkapelle in Italien denken lässt. Vielleicht dreht unser Nachtwächter an einem südländischen Wallfahrtsort seine Runden, und es ist eine laue Sommernacht, in der sich die Düfte des vom Tage gedörrten Grases entfalten und durch den Kirchhof wehen. Messe de Minuit von Etro ist sicherlich kein Konzeptduft, gefällig genug, um tragbar zu sein, außergewöhnlich genug, um Aufsehen zu erregen.

Viele Grüße vom nachtwachen

Harmen

Neueste Kommentare

Harmen Biró Verfasst von:

Hallo, ich heiße Harmen, war bis vor Kurzem irgendwas­unddreißig und habe immer die Nase im Wind, um Duftschätze für Euch zu finden und hier vorzustellen. Selbst bevorzuge ich feine Lederdüfte oder Gewürzkompositionen, ohne mich da aber festzulegen. Warum auch? Es gibt ständig so viel Neues in der Welt der Düfte zu entdecken. → BIRÓ

7 Kommentare

  1. Duca
    18. Januar 2011
    Antworten

    Nicht die Nacht, sondern die Morgensonne habe ich im geistigen Auge wenn ich diesen Duft rieche: Tanzende Sonnenstrahlen auf glattpolierten Steinquadern, Honigkerzen …
    Für mich ist es kein kalter, sondern ein sehr warmer Weihrauchduft: beruhigend, wärmend, schmeichelnd.

  2. margot
    18. Januar 2011
    Antworten

    Lieber Harmen,

    Messe de Minuit ist schon etwas spezielles! Für mich ist er eine einsame, alte Kirche, verschneit, in einer fahlen Januarsonne. ABER … Deine Einleitung von Bonaventura finde ich toll! Macht richtig Lust, auch den Rest zu lesen! Gibt’s das auch in aktueller Schrift? Es ist sooo anstrengend, das in altdeutsch zu lesen.

    LG, Margot

  3. Harmen
    18. Januar 2011
    Antworten

    @Duca: …interessant, wie jeder andere Assoziationen hat 🙂
    @Margot: …na klar, das gibt es zum Beispiel auch als Reclam-Band. Viel Spaß damit und berichte, wie Dir die „Nachtwachen“ gefallen haben.

  4. margot
    19. Januar 2011
    Antworten

    Lieber Harmen,

    zu dem Weihrauch und der Kirche fällt mir noch was ein! Teste doch mal noch von Etat Libre d’Orange den Encens et Bubblegum 🙂 Das ist wahrlich die Kaugummiblasen-fabrizierende Gruftie in kurzem Schottenrock, zerissenen Strümpfen und Springerstiefeln, die zwangsweise und total gelangweilt bei einer Kirchenführung vor dem Altar steht und dem Priester beim Weihrauch schwenken zusieht *gg*

    Viel Spaß und LG,
    Margot

  5. Harmen
    20. Januar 2011
    Antworten

    also wie Abby vom NCIS 😉

  6. Üt
    29. Dezember 2012
    Antworten

    Lieber Harmen,

    ja – ich bin dem Zimt in dem Duft verfallen und auch der Buchtipp ist klasse !!!! Persönlich sagt mir der Duft sehr zu, weil er mich durch die Nacht trägt. Er ist sehr angenehm und für mich auf alle Fälle eine Entdeckung. 2010 gab es in der Hamburger Kunsthalle die Ausstellung: Die Nachtseite der Dinge – das ist der perfekte Duft dafür !

  7. Avatar photo
    Ulrike
    31. Dezember 2012
    Antworten

    Das kann ich mir lebhaft vorstellen 😉 Und – perfekter Duft. Ich habe und liebe ihn auch schon lange.

    Liebe Grüße,

    die Uli.

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