Dieser Geruch war eine Mischung

aus beidem, aus Flüchtigem und Schwerem, keine Mischung davon, eine Einheit, und dazu gering und schwach und dennoch solid und tragend, wie ein Stück dünner schillernder Seide… und auch wieder nicht wie Seide, sondern wie honigsüße Milch, in der sich Biskuit löst – was ja nun beim besten Willen nicht zusammen ging: Milch und Seide! Unbegreiflich dieser Duft, unbeschreiblich, in keiner Weise einzuordnen, es durfte ihn eigentlich gar nicht geben. Und doch war er da in herrlichster Selbstverständlichkeit. Grenouille folgte ihm, mit bänglich pochendem Herzen, denn er ahnte, dass nicht er dem Duft folgte, sondern dass der Duft ihn gefangen genommen hatte und nun unwiderstehlich zu sich zog.

Einmal wieder befassen wir uns heute mit einem Duft, der mich zu literarischen Höhenflügen inspiriert. Der begeisterte Parfumliebhaber mag das Zitat schon gleich erkannt haben (die Erwähnung des Protagonisten erleichtert die Identifizierung um einiges), jawohl: Das Parfum von Herrn Süskind. Wohlwahr ein Klassiker, das muss man zugeben und zwar egal, ob man Parfums mag oder nicht. Die genannte Szene ist jene, in der der Hauptcharakter Grenouille zum ersten Mal dem Geruch eines jungen Mädchens erliegt, diesem folgt und es schließlich, im Eifer des Gefechts, tötet – die Szene der Verführung Grenouilles durch den unvergleichlichen Duft eines jungen Mädchens. Eine Szene, die das gesamte weitere Leben des jungen Mannes verändern sollte.

Eigentlich wäre ja Uli viel geeigneter für den heutigen Artikel, beschäftigt sie sich doch in ihrer Doktorarbeit mit dem Thema des Verführers. Tja, aber wie das Schicksal es will, befindet sich das Phiölchen des heutigen Duftes in meinem Besitz, von daher müsst ihr mit mir und meinen nicht ganz so versierten Kenntnissen zum Thema Verführung vorlieb nehmen. Ich gebe mir natürlich trotzdem Mühe. Aber daran habt Ihr auch keinen Zweifel, dessen bin ich mir sicher. 🙂

Nun aber genug des Vorgeplänkels! Möchten wir doch auch noch auf den heutigen Duft zu sprechen kommen, welcher kein geringerer als der Krawall-Moschus aus dem Hause Frédéric Malle ist: Musc Ravageur. Der Name des Duftes lässt schon ein wenig erahnen, womit wir es zu tun haben. Das französische Wort ‚ravageur’ bedeutet wörtlich übersetzt: Schädling, zerstörerisch und verheerend, um nur drei mögliche deutsche Begriffe zu nennen. In Hinblick auf den Duft würde ich letzteres bevorzugen, denn man kann Musc Ravageur als vieles bezeichnen, aber als zerstörerischen Schädling ganz gewiss nicht. Nein, verheerend ist ein besseres Wort, aber auch dieses würde ich nicht so negativ geprägt auslegen, nicht im Sinne von furchtbar, schrecklich, grässlich. Nein: wild, gewaltig, heftig. Das sind Attribute, die dem Malleschen Moschus zugeordnet werden können. In Kombination mit Musc, also Moschus ergibt sich hier ein animalischer Verführer, der einmal aufgetragen, ungeahnte Wirkungen haben kann – überwältigend, berauschend, unwiderstehlich. Ein ähnliches Duftbild malt auch der Hersteller Frédéric Malle:

Sensual and sophisticated. Powerful yet perfectly controlled. Dramatic and mysterious.

Geschaffen vom etwas knautschgesichtigen Maurice Roucel (mal mit, mal ohne Schnubbi), der seine Karriere 1973 bei Chanel begann, zuerst noch als Chemiker, bevor er 1978 ins kreative Parfumeursfach überwechselte. Seither arbeitet er bei namhaften Duftstoff- und Aromenherstellern, die Euch hinlänglich bekannt sein dürften, daher erspare Euch und mir das gebetsmühlenartige Herunterrasseln eben dieser. Die kreativen Auswüchse seines Schaffens finden sich im Sortiment von Serge Lutens (Silver Iris Mist), Le Labo (Ciste 18 / Jasmin 17), Amouage (Reflection Woman), aber auch bei Hermès (24 Faubourg), Bond No. 9, Guerlain und Linari. Ein fleißges Männlein, der Herr Roucel. Sehen wir es als Bestätigung des Sprichwortes „Ohne Fleiß, kein Preis“ an, dass er schon mehrfach mit einem ebensolchen geehrt wurde, unter anderem dem Prix François Coty (2002) sowie dem französischen und amerikanischen FiFi.

Mit Musc Ravageur gelang ihm, der anscheinend gerne eine gewisse Magnolienart als Signatur in seinen Düften unterbringt, ein absolut afloraler Duft. Kein einziges Blümchen unterstützt den Verführer, dabei besitzen doch so viele betörende Kräfte; denke ich da nur an die sinnlichen Kopfverdreher Tuberose und Jasmin, die so manches Damenherz zum Schmelzen bringen und die Beine so manchen Mannes zittrig werden lassen. Aber nein, unser Verzaubermoschus ist ganz auf sich gestellt. Wirklich ganz auf sich? Nein, ein paar wackere Gesellen begleiten ihn auf seinem duftenden Weg.

Die Duftnoten: Bergamotte, Mandarine, Zimt, Vanille, Moschus, Ambra.

Eine schöne Truppe an Gleichgesinnten hat er da um sich geschart. Die aromatherapeutischen Auswirkungen der einzelnen Ingredienzien lesen sich wie ein Handbuch der Verführung: Bergamotte, Mandarine und Vanille wirken harmonisierend, lösen Ängste und Verspannungen und schenken Inspirationen. Letzteres ist auch dem Zimt zu eigen, der außerdem noch aphrodisierend und entspannend wirkt. Als Sahnhäubchen oben drauf wirken Moschus und Ambra, die beiden animalischen Vertreter, noch zusätzlich hochgradig erotisierend. Ich sehe schon, wer in den Bann dieses Roucel-Duftes gerät, erliegt der Verführung – sofort und widerstandslos; ganz wie der junge Grenouille.

Doch hält der Duft, was er verspricht? Teststreifen und Haut sind ihm auf alle Fälle auf die gleiche Art und Weise erlegen: voll und ganz. Frisch aufgesprüht zeigt sich Musc Ravageur zuerst noch von seiner zitrisch-fruchtigen Seite, doch von Beginn an ist die weiche Moschusnote schon deutlich mit von der Partie. Zuerst gepaart mit eben jenen Noten von Bergamotte und Mandarine, im weiteren Verlauf von Gewürzen begleitet, sprich: Zimt. Dieser zeichnet sich mehr durch eine intensive Würze aus, denn durch Süße. Überhaupt finde ich den Duft bis zu diesem Punkt nicht allzu süß; vielmehr süßlich, warm, weich, kuschelig, aber gleichzeitig auch anregend, animierend. Vanille trifft schließlich zur illustren Runde, bringt die dunkel-zartrauchigen Noten der Bourbon-Variante mit ins moschuslastige Spiel. Ambra leitet die verführerische Duftkomposition auf ein süßes tief-balsamisches Lager, das erdige und holzige Akzente aufweist.

Ein Kracher ist Musc Ravageur ohne Zweifel. Ein Verführer nur für die, die es zulassen. Schätze ich ihn doch als einen ein, der die Geister spaltet – entweder man liebt ihn oder nicht. Ich persönlich finde ihn toll, würde ihn aber nicht tragen wollen, da mir doch eine Spur zu heftig ist. Wie der Name schon sagt: ein echter Krawall-Moschus eben. 🙂

Noch ganz betört grüße ich Euch

Eure Stephanie

Bildquelle: Jupiter und Antiope von Antoine Watteau und Maurice Roucel von Guillaume Luisetti – some rights reserved. Vielen lieben Dank!

Neueste Kommentare

Julia Biró Verfasst von:

Bereits 2010 gingen so einige Blogbeiträge auf mein Konto. Dann war ich „kurz“ weg – sechs Jahre. Umso mehr freut es mich, dass ich nun wieder die Chance bekomme, mein Näschen im Dienste der Duftrezension schnuppern zu lassen und eifrig in die Tasten zu hauen. Was Nischendüfte angeht, habe ich damals übrigens schnell Feuer gefangen. Meine Ausbildung tat dazu ihr Übriges: Als diplomierte Biologin kenne ich mich nicht nur mit Fauna und Flora, sondern auch recht gut mit der Herstellung von Ölen und Extrakten aus, was den Reiz der Parfumwelt natürlich noch größer macht.

2 Kommentare

  1. Stefan
    8. Oktober 2010
    Antworten

    Liebe Stephanie!
    Danke für den tollen Blogbeitrag!

    Ich teile Deine Meinung – es ist wirklich Krawall-Moschus. Für mich einer der Düfte, die durchaus auch kontemplativ eingesetzt werden können (Stichwort: Verspannungen, Inspirationen), aber auf Dauer, wenn man dann kontemplativ in Stimmung kommt, doch eher in die Kategorie „anstrenged“ übergehen. Für mich ein toller Duft für eine Raumkerze!

    Dans tes bras von Roucel ist übrigens auch ein Knaller, aber viel weicher, mir leider ein bissl zu weiblich, ertappe ich mich aber trotzdem immer mal wieder mir ein kleines Sprüherchen zu gönnen auf meinen Handrücken und ganz entzückt immer wieder dran zu schnuppern! Für mich der beste Heliotrop-Vertreter!

    Würde eine Rezension von French Lover vs. Acqua di Parma Colonia Intensa spannend finden.

    Es ist zu köstlich, was dieser Ellena macht. Kreiert einen Duft für ein Nischenhaus und wandelt diesen dann minimal ab, um ihn massentauglich rauszubringen. Ganz schöner Marketingmist ist das.

    Ich dachte anfangs immer wieder, French Lover unbedingt haben zu müssen. Aber irgendwie dachte ich dann auch wieder: der Preis, der Preis, und irgendwie erinnert mich der Duft doch an einen anderen … Bekam letztens mal wieder eine Probe von Colonia Intensa in die Hände, las danach dass Ellena bei beiden seine Hände im Spiel hatte und mir ging ein Licht auf….

    Das gleiche gilt übrigens für Fierce von Abercrombie & Fitch vs. Askew von H&G. Gleicher Parfümeur, zum Verwecheln ähnlich Düfte, nur der Preis ist signifikant different 😉

    Viele Grüße und schönes Wochenende,
    Stefan

  2. Stefan
    8. Oktober 2010
    Antworten

    Ach, einen hab ich noch apropros Ellena:

    Angelique sous la plui von EdP und dann Eau de voyage von Hermes… Einzig sein 1. Duft für Sisley (eau de campagne) bleibt in meinen Augen unique!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert