Septembertag…

SeptemberDies ist des Herbstes leidvoll süße Klarheit,
die dich befreit, zugleich sie dich bedrängt;
wenn das kristallene Gewand der Wahrheit
sein kühler Geist um Wald und Berge hängt.
Dies ist des Herbstes leidvoll süße Klarheit …

Christian Morgenstern (1871 – 1914)

Bald ist es wieder soweit – der Herbst hält Einzug, dieses Jahr kalendarisch betrachtet am 22. September. Und schon eine Woche früher sitze ich nun hier in meiner Stube, habe seit zwei Tagen bereits die Heizung angeworfen (!), trinke Rooibos-Tee und bin einigermaßen verschnupft.

Aber – ich freue mich. Ich freue mich auf die satt-goldenen Farben, auf Herbstlaub, auf Tee trinken, kuschelige Abende mit Katzen und Kerzen auf dem Sofa, auf Ruhe, ein bißchen Melancholie und Besinnung. Denn – Herbst ist absolut meine Jahreszeit. Ich liebe den Herbst, nicht nur, weil ich ein Herbstkind bin.

Eine weitere, hervorragende Eigenschaft hat der Herbst natürlich auch: Ich „darf“ endlich alle meine Herbst-/Winterdüfte hervorholen aus ihrer Sommerpause und ihre Sommerpendants in den Winterschlaf schicken. Ich freue mich jedes Jahr wie ein kleines Kind darauf, es endlich, endlich wieder olfaktorisch krachen lassen zu können.

Nicht, daß sich mein Geschmack im Laufe der Jahre nicht sehr verbreitert hätte. Ich habe ein weites Spektrum an Düften und vor allem auch: Duftrichtungen, die mir gefallen – wie sollte es auch anders sein bei dem Sortiment, daß sich mittlerweile bei mir angehäuft hat… Aber – letzten Endes gehören so gut wie alle Düfte, für die ich in heller Leidenschaft entflammt bin und denen mein Herz sich verschrieben hat, dann doch eher in die dunklere Jahreszeit.

Und so freue ich mich ganz besonders schon seit Wochen auf meine Rachegöttin, die Lady Vengeance von Juliette has a Gun, diese wunderbar luzide Patchouli-Rose – einer der wenigen Düfte, für den ich ständig Komplimente bekomme, wenn ich ihn trage. Dann darf die Tabakfraktion ebenfalls wieder ans Tageslicht, unter anderem der ungeschlagene und komplexe Wüstenwind Chergui von Lutens sowie der honigsüß-rauchige Tabacco von Odori. Und wenn wir schon bei den Italienern sind: Wie sehr juckt es mich in den Fingern wieder meine Mazzolaris auszupacken, allen voran Lui und Patchouly.

Lui, dieser vor Virilität strotzende Duft, der mich mit seiner unerwartet und völlig ungezügelt animalischen Kopfnote immer an ein Raubtiergehege und somit auch an Rilkes Panther erinnert – sollte jemand das männliche Pendant zu diesem Duft kennen, ich bitte darum, ihn mir vorzustellen 😉

Und Patchouly – für mich der schönste monothematische Patchouliduft überhaupt. Ein honigsüßer Vertreter seiner Art, dessen Konsistenz likörig-sämig riecht und eine prachtvoll-dunkelgoldene, opulente Anmutung vermittelt. Die typisch erdigen Akzente sind ebenfalls präsent, der Duft buddelt allerdings nicht allzu tief in „dreckigen“ Gefilden sondern verbleibt im poetisch Dahingehauchten…

Foto MarleneEiner meiner Lieblingsklassiker darf natürlich auch nicht fehlen: Carons Coup de Fouet, der Peitschenhieb, samt seiner Parfumvariante Poivre. Ein herrlicher Nelkenpfeffer mit ledrigen Momenten, den bereits Marlene Dietrich zu schätzen wußte. Das wundert mich nicht, was sollte sie wohl anderes in ihrem Blauen Engel getragen haben… außer vielleicht natürlich Creeds Angelique Encens oder den Bandit von Piguet, die beide wohl auch zu ihrem Repertoire gehörten und ebenfalls ein fester Bestandteil meines bescheidenen Repertoires darstellen. Selten war Weihrauch weiblicher als in diesem Creed und der Bandit – nun, der ist eine Liga für sich.

Robert Piguet - BanditIch kenne wenige Parfums, die solche „Spalter“ sind – bis heute, man beachte daß Piguets Bandit bereits 1944 von Germaine Cellier kreiert und Ende der Neunziger relanciert wurde. Die Ingredienzen: Bergamotte, Orange, Ylang-Ylang, Galbanum, Jasmin, Tuberose, Rose, Nelke, Leder, Vetiver, Eichenmoos, Moschus, Patchouli. Bandit ist, wie der Name schon sagt, ein Rebell. Der Parfumeur Guy Robert bezeichnete den Duft einmal als „beautiful but brutal“ (siehe S. 119 in Michael Edwards „Perfume Legends“) – das vermag einem eine erste Vorstellung zu vermitteln. Bandit ist ein entfesseltes Lederchypre, ambivalent und kontrastreich: Scharf-Grün und annähernd medizinisch in den Kopfnoten folgt darauf das florale Herz, das von rauchigen Elementen sowie erdig-laubigen Untertönen, die noch nie eine Sonne zu Gesicht bekamen, ergänzt wird. In der Folge offenbart sich ein Chypre, das seinem Namen alle Ehre macht: Wir sprechen hier nicht von zartem Wildleder sondern von knackig-harschem Glattleder, das im Duftverlauf tonangebend ist und bleibt.

Bandit ist ein kontroverser Duft, der sicher nicht von jeder Frau getragen werden kann und will – voller düsterer Dynamik, energetisch, wild und querulantisch, mit Hang zur Dramatik wie zu besten Film-Noir-Zeiten. Ganz klar – entweder man liebt ihn oder man hasst ihn, von seinem Sockel stößt man ihn aber nicht so leicht.

Ich könnte noch ewig weiter schwärmen, allerdings schweife ich ab. Eigentlich möchte ich nämlich an dieser Stelle jetzt etwas von Euch wissen: Auf welche Herbst-/Winterlieblinge, die Ihr gerade auch entmottet, freut Ihr Euch ganz besonders? Und: Welche Düfte assoziiert ihr mit Herbst und warum?

Ich für meinen Teil assoziiere mit Herbst unter anderem den bereits vor einigen Tagen angesprochenen Botrytis von Ginestet – ein sonnig-warmer französischer Herbst auf einem Weingut in den allerleuchtendsten Farben. Und vor allem L’Artisan Parfumeurs Tea for Two: Rauchig-dunkler und dampfend-warmer Earl Grey mit Bienenhonig, ideal nach einem Spaziergang im Herbstlaub.

Jetzt seid Ihr an der Reihe – ich bin gespannt!

Liebe Grüße,

Eure Ulrike.

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Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

10 Kommentare

  1. Almut
    16. September 2009
    Antworten

    Hallo liebe Uli,

    auch ich habe letzte Woche die Frühjahr/Sommerdüfte in ihren verdienten Winteurlaub geschickt und meine heiss geliebten Herbst/Winterlieblinge hervorgeholt. So fein Sommer auch ist, dufttechnisch hat er mir persönlich nicht viel zu bieten, ich mag es wärmer, würziger, holziger und dünkler. Ganz besonders freue ich mich auf Tea for two- den honigsüßen Gewürztee, Ambre Sultan- den beschwipsten Rauchamber, Santal noble- den feinen würzigen Sandelsir, Chergui, Fumerie turque, Aomassai – das Holzkaramell und auch auf das Pinienmädchen von Lutens und Havanna Vanille von l’artisan, die es heuer ganz sicher noch zu mir in die warme Stube schaffen werden 😉

    Und ich geb dir völlig recht, Herbst ist DIE Jahreszeit, auch für mich.

    Liebe Grüße!

  2. Almut
    16. September 2009
    Antworten

    Öh, das sollte natürlich Ambre Russe heissen, nicht Ambre Sultan, obwohl ich den auch sehr gerne trage im Herbst/Winter.

    • Ulrike
      22. September 2009
      Antworten

      Hallo liebe Almut,

      ja ja, ich kann das so gut nachvollziehen mit dem Heißhunger auf den olfaktorischen Herbst. Dein Repertoire ist sehr schön und spricht mich natürlich sofort an, befindet sich davon ein guter Teil auch bei mir zu Hause 😉 Dann würde ich sagen lassen wir es mal „duften“ dieser Tage! Ganz viele liebe Grüße zurück,

      die Uli.

  3. Blanche
    22. September 2009
    Antworten

    Liebe Uli,

    mit grossem Vergnügen lese ich immer wieder deine Beiträge. Ich freue mich, dass du hier für ALzD schreibst, deine Schreibe ist ja auch unverwechselbar!

    Auch ich mag dufttechnisch den Herbst und Winter lieber, da die Sommerdüfte auf meiner Haut nicht besonders gut halten. Deshalb greife ich auch im Sommer gerne mal zu einem etwas leichteren Winterduft, wie z.B. Paestum Rose von Eau d’Italie.

    Lieber Gruss,
    Blanche

  4. Ulrike
    24. September 2009
    Antworten

    Hallo liebe Blanche,

    vielen lieben Dank für Dein Kompliment 🙂 Es freut mich sehr, daß Dir das Lesen meiner Beiträge Vergnügen bereitet.
    Paestum Rose – wie schön. Ich nenne den Duft immer liebevoll „mein Gruftie-Mädchen“, er hat ein sehr unschuldiges Moment wie ich finde trotz der zumindest beim Lesen doch eher sehr dunkel anmutenden Zutaten. Ich trage ihn auch gerne, gerade jetzt im Herbst.

    Liebe Grüße zurück,

    die Uli.

  5. Petra Durst
    25. September 2009
    Antworten

    Hach Uli – ja, das ist auch mein Jahreszeit (aber nur dufttechnisch – ansonsten liebe ich den Sommer!)
    Endlich dürfen wieder die wunderbaren Düster-Kandidaten und schweren Orientalen, die ich so sehr liebe, „an die Frau“. Ich kann die Liste von Almut eins zu eins übernehmen – und es würden mir noch x weitere einfallen (schone alleine Amber in seinen vielen Variationen).
    Ja, das ist das schöne an der kalten Jahreszeit – endlich wieder in wohlig-würzig-weich-warme Düfte kuscheln.
    lg, Petra

  6. Ulrike
    25. September 2009
    Antworten

    Jaja, die olfaktorischen Winterliebhaber 😉 Gesell‘ Dich ruhig dazu liebe Petra 🙂 Mal schauen, was der Winter sonst noch für uns bereit hält… es gibt noch so einige Schmankerl, da mal schauen ob da nicht noch Ergänzung für das Portfolio „lauert“ 😉

    Liebe Grüße, die Uli.

  7. 5. Oktober 2014
    Antworten

    Sommer oder Winter – es ist mir schnurz,weil ich sowieso meinem heissgeliebten
    Banditen treu bleibe!!! Ich habe schon etliche Parfums probiert, aber jetzt gibt es
    für mich kein anderes mehr! Es will sich nicht mit gefälliger Süsslichkeit anbiedern, hat einfach Charakter und Persönlichkeit – womit es allerdings kaum zur netten „Frau von Nebenan“ passen dürfte. Man riecht damit wie eine Rockerbraut. . . . . und der exquisite Flakon tut ein Übriges, die Stimmung zu heben. Also: Bei aller Naturverbundenheit liebt MEINE Nase dieses herrliche Parfum nicht saisonal,
    sondern IMMER&EWIG!!!! Dufte Grüsse, Martina

  8. 5. Oktober 2014
    Antworten

    Der “ Bandit“ ist auch bei 30 Grad plus eine Wonne, jedenfalls für mich. Mit den Jahreszeiten zu gehen, ist ja ganz o.k., aber deshalb muss ich nicht im Sommer nach Blümchen riechen, stimmt’s? Wenn Ihr mich fragt: Diese brave Unterteilung in Sommer/Winter etc. finde ich zu schematisch, wenn man einen besonderen Duft
    gefunden hat ! Nun, Jede, wie sie will, nur dürfte Geschmack nicht unbedingt etwas mit dem Thermometer zu tun haben. Vielmehr ist er an keine Zeit gebunden und verlangt keine Anpassung. Gerade “ Bandit“ ist ein Parfum, das sich eben NICHT anpasst, also nix Herbst u.s.w.. . . . Martina

  9. Avatar photo
    Ulrike Knöll
    6. Oktober 2014
    Antworten

    Hallo liebe Martina,

    ich selbst halte mich auch, wenn überhaupt, nur grob thematisch an saisonale Dufteinteilungen. Viel wichtiger sind für mich Stimmungen, die zu meiner Duftauswahl führen. Ich denke, dass viele Duftliebhaber das ganz ähnlich sehen und handhaben. Genauso ist es ja auch mit „Männer- und Frauendüften“ Allerdings ist es für „Einsteiger“ in das Hobby trotzdem oft ganz hilfreich, die Düfte ein wenig zu kategorisieren bzw. eine gewisse Richtung anzugeben. Und Bandit – ja, auch ich liebe ihn, immer noch 🙂

    Viele Grüße,

    Ulrike.

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