Wenn es um Bête Humaine – den wilden Mann – geht, ist es kein Zufall, dass ich nach langer Zeit auch einmal wieder schreiben darf. Bärenfell und Lendenschurz sind für diesen Ausflug in die Wildnis festgezurrt. Es kann losgehen.

La Bête Humaine ist der Wilde Mann
Bei Bête Humaine von Les Liquides Imaginaires mag man vielleicht spontan an den Roman „La Bête Humaine“ von Émile Zola denken, auf Deutsch „Die Bestie im Menschen“ oder auch „Das Tier im Menschen“. Der Kopf hinter der Marke Liquides Imaginaires Philippe Di Méo hatte aber etwas anderes im Sinn. Bereits die Düfte Peau de Bête (Uli schrieb hier darüber) von 2015 und Belle Bête aus dem Folgejahr schlugen diese Richtung ein: Es geht um mythologische Wesen, die eine Zwischenform aus Mensch und Tier darstellen. Sie leben in der Wildnis, sind oft nur notdürftig mit Moosen bekleidet, behaart, nackt und urtümlich. Der Wilde Mann ist eine Figur, die sich schon seit Jahrhunderten im Volksglauben findet. Als Enkidu bereits im Gilgamesch-Epos, als wahnsinnig gewordener König Nebukadnezar im Alten Testament, in Sagen des Mittelalters oder z. B. in der Figur des Caliban in Shakespeares „Der Sturm“. In vielen Werken lässt sich die Vorstellung von halbmenschlichen Wesen ausmachen. Übrigens soll es auch Wilde Frauen gegeben haben. An solche Geschichten knüpft m. E. der Film „Nell“ mit Jodie Foster an.
Wie duftet das Naturwesen Bête Humaine?
Der wilde Mann, eine mythologische Figur in Literatur und Kunst. Ich bin das Bindeglied zwischen der zivilisierten Menschheit und den Elfengeistern einer ungezähmten Natur. Ich lebe frei in fernen Ländern, geheimnisvollen Wäldern und grenzenlosen Ebenen. Meine Haut und mein Fell sind sowohl meine Schwäche als auch mein Schutz. Ich lebe nackt, trage nur meinen Duft, er ist auch der Duft der Natur, der von eiskalten Flüssen, harzigen Hölzern, glühenden Felsen, die von der Sonne erhitzt werden, Teppichen aus Blättern, auf denen ich schlafe. Ich bin ein Gejagter und ein Jäger, wie eine Bestie. Getrieben von Angst, bewaffnet mit Kraft, gehüllt in meinen Geruch. Ich bin ein Mann mit dem Herzen eines Löwen.

Dass bei dieser Idee nun kein Frisch-geduscht- und Sauber-Duft herauskommt, dürfte ziemlich klar sein. Für mich stellt such vielmehr die Frage, inwieweit sich Parfümeurin Amélie Bourgeois getraut hat, den animalischen Seiten dieser Figur nachzugehen. Zumindest die Farbe der Flüssigkeit sowie die Pressefotos lassen doch erahnen, dass es ein grüner Wilder Mann sein muss, eine Art olfaktorischer Hulk.
Die Bestie wird gezähmt
Vom Teststreifen her weht zuerst ein überraschend frischer, kühler Wind, bei dem man durchaus an das oben erwähnte kalte Wasser denken kann, darüber hinaus an Pflanzensäfte aus Blättern und Stielen. Nach und nach kommen harzig-grüne Noten zum Vorschein, bei denen ich insbesondere Zistrose (Labdanum) und Mastix ausmache.
Auf der Haut zu Beginn ein ähnliches Bild, wobei hier doch schneller die Basis durchdrückt. Holzige Noten, ein Hauch wurzeliges Vetiver, aber auch hier die balsamischen Labdanumnoten umkränzt von grünen Veilchenblättern.
Mit Bête Humaine ist vielleicht die zahmste Variante des Wilden Mannes zu einem Duft geworden. Hier wären mehr Ecken und Kanten möglich gewesen, z. B. harziger, erdiger, dunkler, fougèriger. Ist das schlimm? Nein, natürlich nicht. Der Wilde Mann ist mittlerweile ein angenehmer Zeitgenosse, kultiviert und wohlduftend. Nur hier und da blitzt etwas von seinem animalischen Erbe hindurch. Und das ist auch viel spannender als ein Höhlenmensch-Konzeptduft, oder nicht?
Schreibe den ersten Kommentar