Vom Abstreifen der sterblichen Hülle: Stéphane Humbert Lucas’ „Mortal Skin“

Mortal Skin

Ich freue mich jedes Mal aufs Neue, wenn eine Marke oder ein Parfumeur einmal die ausgetretenen Pfade verlässt und etwas wagt. So verspricht es zumindest das Äußere des neuen Dufts „Mortal Skin“ von Stéphane Humbert Lucas.

Vom Deckel scheint sich eine schwarze Haut abzulösen – die sterbliche Haut des Titels –, ohne dass dabei aber ein starker Magen notwendig wäre. Dies erinnert natürlich ein wenig an Nasomattos bewusst ramponierten Blamage-Deckel. Eingeklemmt zwischen einem schwarzen Himmel und goldenem Grund starrt uns ein stilisierter Schlangenkopf an, der sich aus einem regelmäßigen Wabenmuster zusammensetzt, zwei Glitzersteinchen stellen die Augen dar. Vielleicht spielt ja auch ein wenig die Geschichte vom Sündenfall hinein, als die Schlange Eva dazu verführte, von der verbotenen Frucht zu naschen und damit erst die Endlichkeit des Menschen verursacht haben soll.

Wer das allzu deprimierend und das Thema Sterblichkeit für ein Parfum unpassend findet, sollte vielleicht das Augenmerk auf einen anderen Aspekt lenken. Wir haben es hier schließlich mit einer Schlange zu tun und diese häutet sich bekanntermaßen. Die alte Haut wird abgestreift und eine neue zeigt sich. So wohnt der Sterblichkeit in diesem Fall eine Wiedergeburt und eine Metamorphose inne. Und haben wir es bei einer nagelneuen Haut nicht mit der Mutter aller Anti-Aging-Versprechen zu tun? 😉

mortal-skin

Eine Grundidee des Dufts war es, das Gefühl, wenn man über die glatte und kühle Haut einer Schlange streicht, in einen fantastischen Duft zu übersetzen. Folgende Duftnoten wurden für diesen Zweck gezückt:

Kopfnote: Brombeere, Tinte, Galbanum, Weihrauch, Labdanum (Zistrose)
Herznote: Opoponax, Iris, Safran, Davana, Myrrhe, Kardamom
Basisnote: Ambra, Styraxharz, Sandelholz, Labdanum (Zistrose), Zibet, Atlas-Zedernholz, Birke, Moschus

Eine Schlange fühlt sich überraschend kühl an – das trifft auf den Duft nicht unbedingt zu, aber ein ledriger und harziger Hauch empfängt die Nase. Und dann ist es doch da, das kühle Glitzern, die schuppige Panzerung, es könnte vom Kardamom stammen, von der Fruchtsäure der Brombeere oder von einem kalten Tintentropfen. Mit Weihrauch, Opoponax und Myrrhe wurden mehrere Harze verarbeitet, keines davon knarzt oder sticht hervor – auch die holzigen Noten fügen sich geschmeidig wie das hypnotisierende Ineinandergreifen schuppiger Drachenhaut – ich bin extrem begeistert! Außerdem kommt bei mir eine hauchdünne Röst-Kaffeenote zum Vorschein, bei der ich die Birke (vermutlich Birkenteer) als Urheber verdächtige. Wer meine Artikel hier liest, weiß, dass ich mich nicht so schnell zu Begeisterungsstürmen hinreißen lasse, man wird nach einigen Jahren bei Aus Liebe zum Duft wählerisch, hier im Süden würde man „schleckig“ sagen, so viel Gutes bekommt man unter die Nase und vieles sticht dann eben auch nicht mehr so stark hervor. Aber „Mortal Skin“ ist für mich bis jetzt der Topduft 2015!

Dem Duft beigefügt wurde auch eine Art Gedicht oder Szenenbeschreibung, die ich Euch eigentlich lieber vorenthalten würde, aber bildet Euch Euer eigenes Urteil – so ein Literaturstudium versaut einem die unbedarfte Lektüre ambitionierter Hobbyautoren. 😉 Ich habe mit meiner Übersetzung noch versucht herauszuholen, was irgendwie geht. Aber ich vermute, dass die Ursprungsfassung auf Französisch geschrieben, dann ins Englische übertragen wurde, um letztlich von mir verdeutscht zu werden. Das gereicht solch einem Poem nicht immer zum Vorteil. 😉

mortalskin1. Akt
Das Parfum, matt und bunt, hypnotisiert mich,
Ich begegne Augen, die mich begehren.
Blättrige Kühle, Früchte, die Magie der Begegnung,
Die Verführung beginnt.

2. Akt
Das Parfum steigt auf und lähmt mich,
Die Reißzähne gebleckt, wollen sich in mich versenken.
Pochende Hitze vermischt mit blauer Kälte, ich wurde wohl gebissen.
Sandelholz, Tequila, Rausch.

3. Akt
Rohheit, Brutalität, Reise,
Das Parfum riecht nach heißer Asche.
Das Leben entgleitet.
Es weiß nun, dass alles schön ist.

Eleganz, Gefangenschaft, Loslassen

Zum Thema Loslassen – die Haltbarkeit ist solide, aber nicht zu Tränen rührend klammernd. Für 50 ml werden 235 € aufgerufen, was den Duft – bei aller Liebe und Begeisterung – in Regionen außerhalb meiner monetären Reichweite befördert. Dafür bekommt man aber wirklich Qualität, denn „Mortal Skin“ setzt auf dem hohen Niveau der Marke fort; vor etwas einem Jahr habe ich ja bereit SHLs Düfte beschrieben, man sehe hier, und darunter fielen fast alle sehr beeindruckend aus.

Also liebe Freunde, wer auf ausgefallene Konzepte steht und einen ledrigen, harzig-holzigen und auch etwas balsamischen Duft zu schätzen weiß, unbedingt testen!

Liebe Grüße
Harmen

Neueste Kommentare

Harmen Biró Verfasst von:

Hallo, ich heiße Harmen, war bis vor Kurzem irgendwas­unddreißig und habe immer die Nase im Wind, um Duftschätze für Euch zu finden und hier vorzustellen. Selbst bevorzuge ich feine Lederdüfte oder Gewürzkompositionen, ohne mich da aber festzulegen. Warum auch? Es gibt ständig so viel Neues in der Welt der Düfte zu entdecken. → BIRÓ

2 Kommentare

  1. Kekes
    28. Mai 2019
    Antworten

    Vielen Dank 4 Jahre später.

    Du hast den Duft super erfaßt.
    Die Wiedergeburt und Metarmorphose habe ich für mich genauso interpretiert und freu mich hier „einen Geist zu lesen“, der ebenso denkt.
    (Zunächst gefiel mir der Duft nicht unbedingt, das Styrax drängte sich arg in den Vordergrund. Dennoch hat es mich nicht losgelassen, wie das manchmal so ist… 😉
    Inzwischen habe ich heute einen Flakon bestellt.

    Wir sind eben auf Duftreise .. 😉

    Liebe Grüße, vielen Dank und immer eine gute Nase 😉

  2. Avatar photo
    28. Mai 2019
    Antworten

    Wie schön, einmal wieder einen älteren Artikel zu lesen! Ich freue mich, dass wir den Duft ähnlich einordnen. Viel Freude mit ihm! 🙂

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