
Ein komplexer Charakter ist New York von Nicolaï. Verschiedenste Facetten leuchten im Duftverlauf auf, neuartige und mutige Nuancen, kräftig, bissig und leuchtend, aber auch von erdiger Dunkelheit erfüllt… all dies jedoch eingebettet in das klassische Gewand eines Chypre.
1989 bereits erschienen hätte New York aber durchaus auch einige Jahrzehnte älter sein können. Ich bringe diesen klassisch anmutenden Duft nun nicht direkt mit der pulsierenden Metropole New York zusammen, außer vielleicht wenn wir in die alten sepiafarbenen Zeiten Little Italys zurückkehren, wie man sie aus dem Kino kennt, wo elegant gekleidete Herren Geschäften aller Art nachgingen. „New York“ ist kein hipper Stadtduft und soll es vermutlich auch gar nicht sein. Die Komplexität scheint der Schlüssel zu seinem Verständnis zu sein. Ein Schmelztiegel verschiedener Assoziationen, heller und dunkler Elemente, Neues und Altes koexistiert, Kulturen vermischen sich, doch all dies im Rahmen der Stadt, welche die zugegebenermaßen fließenden und durchlässigen Grenzen markiert. Es sind natürlich die sizilianischen Zitronen, die mich auf die Little-Italy-Fährte brachten, und die Kräuter und Gewürze der Südländer. Doch der so versiert angetäuschte Chypre hat noch etwas mehr zu bieten, als die Tradition seiner Gattung zu repetieren. Wer Chypres an und für sich nicht mag, steigt vermutlich bei den vieldeutigen Einsprengseln vollständig aus, deren Deutung von Zimt bis Paprika reicht. „New York“ sperrt sich einem leichten Verständnis und lässt sich auch durch einen dritten Blick nicht durchschauen.
Wäre „New York“ ein Mensch, dann ein Charakter, dem es gleichgültig ist, ob man ihn mag oder nicht, der aber mehr zu bieten hat als lässige Selbstgefälligkeit. Man muss sich länger mit ihm beschäftigen, um ihn schätzen zu lernen und vielleicht auch ein bisschen mit ihm kämpfen, bis man ihn mag. Ich muss noch ein bisschen kämpfen, so viel Ehrlichkeit verdient „New York“.
Ganz viele Grüße von
Harmen
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