Dr. Mike von Room 1015 im Interview – Über Rock’n’Roll, Düfte und die leise Romantik von Love-O-Matic

Kaum ein Dufthaus schafft es, Rock’n’Roll und Duftkunst so selbstverständlich zu vereinen wie Room 1015. Gegründet von dem Musiker und promovierten Pharmazeuten Dr. Mike steht das Label für olfaktorische Grenzgänge – irgendwo zwischen Rebellion und Feinfühligkeit, Popkultur und Poesie. Im Interview spricht Dr. Mike, der mit bürgerlichem Namen Michael Partouche heißt, über kreative Spannungsfelder, Duft als Soundtrack und die Idee hinter Love-O-Matic, einem Parfum, das Waschsalonrealität und Liebesfantasien miteinander verwebt.

Dr. Mike, Gründer von Room 1015
Dr. Mike, Gründer von Room 1015

Lieber Mike, Room 1015 steht wie kaum ein anderes Label für Rock’n’Roll-Spirit in Duftform. Wie würdest du den kreativen Ansatz heute, fast zehn Jahre nach der Lancierung, beschreiben?

Zehn Jahre später brummen die Verstärker immer noch. Der kreative Ansatz hat sich weiterentwickelt, ist im Kern aber derselbe geblieben: die Suche nach Emotionen, nach Rebellion, nach der Poesie im Lärm. Ich habe gelernt, mehr auf meine Intuition zu vertrauen – weniger auf Trends, mehr auf klare Vision. Der Geist der Marke ist immer noch backstage, immer noch neonbeleuchtet, aber heute gibt es ein tieferes Verständnis dafür, wie man das Ungreifbare in Duft übersetzt.

Du bist nicht nur Gründer von Room 1015, sondern auch Musiker und promovierter Pharmazeut. Wie prägen diese Gegensätze deine Arbeit als Parfümeur? Ist es eher ein Spannungsfeld oder eine Symbiose?

Definitiv eine Symbiose. Von der Musik habe ich Rhythmus und Atmosphäre gelernt, von der Pharmazie Struktur und Präzision. Die Parfümerie lebt genau in dieser Schnittmenge. Eine Formel braucht – wie eine Melodie – Balance, Spannung, Entspannung. Der Laborkittel und die Lederjacke wirken gegensätzlich, aber sie erzeugen Harmonie im Kontrast.

Was macht für dich einen ikonischen Duft aus? Ist es die Komposition, die Geschichte dahinter oder das Gefühl, das er auslöst?

Es ist das Gefühl. Der Schauer, der einem über den Rücken läuft, die Erinnerung, die sich wie ein Tattoo unter die Haut brennt. Eine starke Komposition und eine großartige Story sind Hilfsmittel, aber die wahre Ikone lebt von der Art und Weise, wie ein Duft die Emotionen anspricht. Ein ikonischer Duft riecht nicht nur gut. Er hallt nach.

Room 1015 – Love-O-Matic

Viele deiner Kreationen wirken wie Soundtracks in Flaschenform. Gibt es einen Duft, der für dich besonders musikalisch ist und, falls ja: warum?

Auf jeden Fall Wavechild. Dieser Duft ist ein Soundtrack. Eine poetische Zeitlupenvision des Surfens. Das Adrenalin beim Erreichen einer Welle, die fließende, ruhige Schwebe davor und danach. Der Duft gleitet wie ein Dream-Pop-Track: weiche Sonne auf nasser Haut, gesalzene Kokosnuss in der Luft, der hypnotische Rhythmus des Meeres. Er ist atmosphärisch, emotional und zeitlos.

Wie wichtig sind für dich die Verpackung und die visuelle Sprache von Room 1015? Sind Flakon und Grafik Teil der Dufterzählung?

Das ist untrennbar. Der Flakon ist die Vinylhülle. Die visuelle Sprache gibt schon vor dem ersten Sprühstoß den Ton an. Für mich ist ein Duft ein Gesamterlebnis. Er sollte so aussehen, sich so anfühlen und so riechen wie die Welt, zu der er gehört. Von der Typografie bis zum Verschluss erzählt alles eine Geschichte.

Der Name Love-O-Matic weckt Assoziationen mit nostalgischen Automaten und verspielten Zukunftsvisionen. Welche Impulse haben diesen Duft inspiriert und wie setzt man so etwas olfaktorisch um?

Eigentlich ist die eigentliche Inspiration für Love-O-Matic viel bodenständiger: der Waschsalon. Dieser Ort hat mich schon immer fasziniert. Das Brummen der Maschinen, der warme Dampf, Fremde, die sich kurz in der Routine begegnen. Es ist seltsam intim. Diese Momente des Wartens wirken fast filmisch und leise romantisch. Alle sind frisch gewaschen, entkleidet, mit weichen Kanten. Übersetzt bedeutet das: saubere Noten, Hauttöne und eine subtile elektrische Unterströmung. Wie statische Aufladung auf frisch getrockneter Wäsche oder der Funke eines Blicks.

Room 1015 – Love-O-Matic

Können Sie uns etwas über die Struktur von Love-O-Matic erzählen? Welche Noten bilden den Rahmen, welche Atmosphäre wollten Sie schaffen?

Der von Jérôme di Marino entwickelte Duft basiert auf einem fröhlichen, sinnlichen Kontrast, der verspielten Pop mit raffinierter Sauberkeit verbindet. Er enthält Noten von Erdbeere, Schwarzer Johannisbeere, Zitrone, einem Bubblegum-Akkord, einem Clean-Akkord, Ambrette, Moschus und Zedernholz. Die drei zentralen Akkorde sind:

Der „Clean“-Akkord wurde entwickelt, um die Idee der Sauberkeit in etwas Luxuriöses und Raffiniertes zu verwandeln. Im Mittelpunkt steht Moschus, der sowohl natürliche als auch synthetische Inhaltsstoffe vereint, wobei Sublimolide (vegan) und Ambrette-Samenbutter besonders hervorgehoben werden. Das Ergebnis erinnert an die beruhigende, langanhaltende Frische von Weichspülern, mit einem sanften, hautähnlichen Glanz. Das Ziel war es, ein hochwertiges, modernes Gefühl von Sauberkeit zu schaffen, das sowohl intim als auch anspruchsvoll ist.

Der „Bubblegum“-Akkord baut auf einer saftig-lebhaften Erdbeerkaugummi-Note auf. Diese vereint Strawberry Nat Neo Jungle Essence und Blackcurrant Pure Jungle Essence, die für einen Ausbruch von fruchtiger Verspieltheit sorgen. Ein Hauch von Zitronenessenz sorgt für Leuchtkraft, während zarte Orangenblüten eine pudrige, blumige Facette einbringen. Im Ausklang wird der Duft runder und süchtig machender. Er erinnert an Süßigkeiten aus der Kindheit, aber mit erwachsener Komplexität.

Ambrettesamen werden aus Abelmoschus moschatus gewonnen und verleihen der Basis eine natürliche, hochwertige Dimension. Reichhaltig und facettenreich, bietet sie eine warme, moschusartige Signatur mit cremigen, blumigen Untertönen und subtilen fruchtigen Birnenanklängen. Als seltener und luxuriöser Inhaltsstoff vertieft Ambrette nicht nur die Textur des Duftes, sondern wirkt auch als natürlicher Fixateur, der den Duft auf der Haut verweilen lässt.

Room 1015 – Love-O-Matic

War Love-O-Matic von Anfang an als Liebesduft gedacht oder hat sich dieses Thema erst im Laufe des Entwicklungsprozesses herauskristallisiert?

Der Name kam mir sofort in den Sinn, als ich anfing, über die Kreation eines sauberen Dufts nachzudenken. Ich stellte mir das Gefühl vor, verliebt zu sein, während man auf seine Wäsche wartet. Ein alltäglicher Moment, der voller Emotionen steckt. Der Duft selbst war fast fertig. Wir trugen ihn, lebten mit ihm und ja, er roch großartig: hell, beruhigend und wirklich angenehm.

Aber Jérôme Di Marino und ich hatten beide das Gefühl, dass etwas fehlte. Es fehlte ein Farbklecks, ein Twist. Ich schlug ein paar Ideen vor – eine davon war Bubblegum. Sofort hatte ich dieses lebhafte Bild von jemandem, der im Waschsalon wartet und Kaugummi kaut. Da wusste ich sofort: Das war das fehlende Teil.

Welche Rolle spielt der Ort, dieser Waschsalon als Bühne für Begegnungen und flüchtige Intimität, im Gesamtkonzept des Duftes?

Er ist alles. Der Waschsalon ist ein Paradoxon, öffentlich und privat zugleich, steril und seltsam sinnlich. Man ist in seinem verletzlichsten Zustand, ohne seine Schichten, und wartet. Genau in diesem Raum kann etwas Unerwartetes passieren. Love-O-Matic fängt diese intime Alltäglichkeit ein, diese seltsame Romantik an ganz gewöhnlichen Orten.

Wenn Love-O-Matic ein Film wäre, welches Genre, welche Szene, welcher Soundtrack wäre der Duft?

Eine Indie-Romanze, irgendwo in LA oder Paris, im Sommer. Die Szene: jemand lässt eine Socke fallen, jemand anderes hebt sie auf, ein Blick, ein Lächeln. Nichts und alles zugleich. Der Soundtrack? Etwas wie Playground Love von Air. Sanft, suggestiv, leise sexy.

Room 1015 – Love-O-Matic

Was soll Love-O-Matic beim Tragen auslösen? Ist es ein Duft für den Eskapismus, für die Alltagsflucht oder eher ein Verstärker des Augenblicks?

Er ist ein Verstärker des Jetzt. Er verstärkt die subtilen Emotionen. Nicht theatralisch, sondern flüsternd. Man fühlt sich wie die Hauptfigur in einem realen Moment, der sonst vielleicht unbemerkt bliebe.

Du hast mit Alltagsdüften wie Waschmittel oder Kaugummi gearbeitet. Was willst du damit auslösen?

Die emotionale Kraft von Alltagsdüften. Frische Wäsche ist nicht einfach nur sauber, sie steht für Geborgenheit, Intimität, Zuhause. Kaugummi ist Spaß, Flirt, Rebellion. Diese Noten sind nicht nur verspielt, sie sind aufgeladen. Ich wollte etwas Banalem Emotionen verleihen.

Ist Love-O-Matic für dich eher eine Projektion, also ein Wunschbild, oder eine Beobachtung dessen, was Liebe im Alltag sein kann?

Es ist beides. Es ist eine Projektion der Sehnsucht und eine Feier des Jetzt. Keine Fantasie, aber auch nicht realistisch. Love-O-Matic lebt im Dazwischen: in zufälligen Begegnungen, in der Hoffnung ohne Erwartungen, im Blickkontakt, der „vielleicht“ sagt.

Lieber Mike, vielen Dank, dass du dir Zeit für meine Fragen genommen hast.

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Julia Biró Verfasst von:

Bereits 2010 gingen so einige Blogbeiträge auf mein Konto. Dann war ich „kurz“ weg – sechs Jahre. Umso mehr freut es mich, dass ich nun wieder die Chance bekomme, mein Näschen im Dienste der Duftrezension schnuppern zu lassen und eifrig in die Tasten zu hauen. Was Nischendüfte angeht, habe ich damals übrigens schnell Feuer gefangen. Meine Ausbildung tat dazu ihr Übriges: Als diplomierte Biologin kenne ich mich nicht nur mit Fauna und Flora, sondern auch recht gut mit der Herstellung von Ölen und Extrakten aus, was den Reiz der Parfumwelt natürlich noch größer macht.

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