Einen ganz weltlichen Kirchenbesuch hat Pierre Guillaume mit seinem neuesten Église de Velours No. 20.2 für uns. Ein Weihrauchduft, so viel sei schon einmal verraten. Aber anders, ungewohnt und mit einer neuen Grundidee.
Église de Velours – Haute Couture der Seele
Die Inspiration für Église de Velours war offenbar eine Modenschau im Juli 1997 in Paris. Um welche es sich genau handelt und ob Pierre Guillaume hier eine persönliche Erinnerung verarbeitet, erfahren wir nicht. Jedenfalls lässt uns die Beschreibung in einen sehr konkreten Raum mit einer besonderen Atmosphäre eintauchen:
Paris, Juli 1997, die letzten Vorbereitungen einer Haute-Couture-Show laufen auf Hochtouren. Samtbezogene Stühle im Stil von Napoléon III., edle Stoffbahnen, die sorgfältig entlang der Wände drapiert sind, während der dezente Duft von Zigarettenrauch den Raum durchzieht. Eine vertraute, leise und fragile Stimme durchbricht die meditative Stille. Ein Model mit einem Gesicht wie eine Madonna tritt aus einem Raum, begleitet von zwei Näherinnen, die dabei helfen, die Volants eines gerade entstehenden Kleides zu arrangieren. Kaum verhüllt von einer schwarzen, transparenten Bluse, schwingt das Kleid in der Anmut ihrer Bewegungen. Hier wirkt alles wie von einem Hauch Magie erfüllt: eine stille Feierlichkeit, eine fast ehrfürchtige Konzentration, die Leidenschaft des Teams, das dem Schöpfer im Atelier zur Seite steht. Zweifel, ein Funken Inspiration – und schließlich das Wunder, wenn eine neue Kreation zum Leben erwacht. Diese Räume zu betreten, fühlt sich an wie das Betreten einer Kathedrale … aus Samt.
Aus der Vorbereitung der Modenschau in einem religiös anmutenden Raum wird ein Schöpfungsakt, ein Moment der göttlichen Inspiration. Opulentes Mobiliar, Stille, Zigarettenrauch treten an die Stelle von Kirche, Gottesdienst und Andacht.
Ich bin gespannt, wie Pierre Guillaume diese Momente des konzentrierten Arbeitens und der schöpferischen Kraft umgesetzt hat.
Wie duftet Église de Velours?
Ich greife etwas vor. Im Text wird Église de Velours als leiser Dialog zwischen Seele und Haut bezeichnet. Kein Blitzlichtgewitter, keine Models, die über den Laufsteg schreiten und schrille Kreationen präsentieren. Vom Teststreifen kommt mir eine überaus hautnahe, warme und samtige Moschuswolke entgegen. Im Hintergrund meine ich weiße Blüten wahrzunehmen, die es laut Duftnotenangabe gar nicht gibt. Ich muss ehrlich sagen, auch von Weihrauch und Hinoki ist weit und breit nichts zu riechen. Also muss ich auf der Haut weitertesten. Hier ein ganz anderes Bild. Grün und koniferig geht es los, süße und balsamisch cremige Myrrhe tritt an die Stelle der vermeintlichen Weißblüher. Klassischer Weihrauch hingegen bleibt für meine Nase verschollen. Dass wir hier keinen Kirchenweihrauch bekommen, war klar. Hier haben wir einen Weihrauchduft, der eher einer bestimmten Idee von Weihrauch folgt, als selbst ein typischer Vertreter zu sein.
Samt und Seide, feine Stoffe, edles Leinen auf der warmen Haut eines Models. Inmitten eines kreativen Geistesblitzes. Da gehe ich mit. Der Gegenentwurf zu einem meditativen oder gar religiösen Weihrauch. Diesseitig, menschlich, körperlich, gerade zu intim. Großartig umgesetzt!
Die Duftnoten
Hinoki-Scheinzypresse, Myrrhe, Weihrauch, Moschus
Übrigens: Pierre Guillaumes Düfte in seiner Numbered Collection folgen einem Ordnungsprinzip. Die Vorgängerdüfte mit dem Thema Weihrauch (No. 20) sind L’Eau Guerrière No.20 von 2009 und Sorong No.20.1 von 2019.
Für welchen Anlass eignet sich Église de Velours?
Ich kann mir Pierre Guillaumes Weihrauchinterpretation gut als Understatementduft vorstellen, also immer dann, wenn man gut duften, aber nicht auffallen möchte. Für den ganz großen Auftritt gibt es wahrlich ganz andere Kaliber. Zum Ausgehen oder zum Date könnte diese samtene Kirche genau das Richtige sein. Aufregend, leise, etwas geheimnisvoll – klingt das gut?
Also, wer einen klassischen Weihrauchduft haben möchte, soll sich lieber hier umsehen: Unsere Weihrauch-Empfehlungen bei Aus Liebe zum Duft. Wer die abstraktere Idee eines weltlichen Weihrauchs mit grünen Noten, süßer, cremiger Myrrhe und weichen, modernen Moschusnoten bevorzugt, ist hier genau richtig.
Ein Absacker zum Schluss
Unter meinen Proben war auch noch Mojito Chypre von Pierre Guillaume. Wer erinnert sich? Der Duft ist nicht neu, hat aber einen neuen Flakon bekommen. Vor 10 Jahren habe ich ihn beschrieben (siehe „Einen Mojito und dazu Heavy Metal“ und immer in guter Erinnerung behalten. Man bekommt definitiv, was auf der Verpackung versprochen wird. Frische Minze und Chyprenoten, dazu fröhliche, ausgelassene Fruchtnoten. Herrlich! Und der perfekte Party-Sommerduft dazu.
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