Tonka Hysteria von D’Orsay – oder wie ein Dufthaus sich neu erfindet

Das Dufthaus D’Orsay ist aktuell in aller Munde und das freut mich sehr. Denn die Marke ist für Duftfreunde, Parfumfans und Connaisseurs keine unbekannte. Auch wenn sich die Namen der Düfte verändert haben, wenn die Optik der Flakons modern und eyecatchy ist, wenn alles frischer, hipper und stylischer wirkt, liegt dem Label doch eine lange Geschichte zugrunde, die so manch andere neu gegründete Marke alt aussehen lässt. Bei Aus Liebe zum Duft war D’Orsay bis vor einigen Jahren im alten Gewand vertreten, verschwand dann für einige Zeit aus unserem Portfolio und ist nun wieder zurück: wie der Phönix aus der Asche in neuer Optik, mit neuen Kreationen, in neuen Konzentrationen.

Flakon von ORSAY Tonka Hysteria Extrait de Parfum, inszeniert mit Irisblüten, Tonkabohnen und botanischen Elementen vor grünem Hintergrund

Ein Blick in die Vergangenheit von D’Orsay

Begründet wurde das Haus D’Orsay von dem 1801 in Paris geborenen Alfred D’Orsay. Als Sohn eines napoleonischen Generals wuchs er in einem kulturell und gesellschaftlich geprägten Umfeld auf und entwickelte früh ein ausgeprägtes Interesse an Kunst, Literatur und Ästhetik. Mit Anfang zwanzig zog er nach England, wo er rasch Teil der Londoner High Society wurde und als Dandy, Intellektueller und stilprägende Persönlichkeit galt.

D’Orsay bewegte sich in den bedeutendsten Salons seiner Zeit und pflegte Kontakte zu Persönlichkeiten wie Lord Byron, Honoré de Balzac, George Sand und Alfred de Musset. Neben seinem gesellschaftlichen Wirken verfasste D’Orsay Gedichte und Essays, in denen Themen wie Liebe, Schönheit und Vergänglichkeit im Mittelpunkt standen.

Trotz seines kulturellen Einflusses war sein Leben von finanziellen Schwierigkeiten geprägt. Alfred D’Orsay starb 1852 in Paris. In seinem Nachlass fanden sich Hinweise auf eigene Parfumrezepturen, ein Detail, das sein ausgeprägtes ästhetisches Empfinden unterstreicht und heute als geistige Brücke zum modernen Dufthaus D‘Orsay gelesen wird.

Kampagnenmotiv von ORSAY Tonka Hysteria Extrait de Parfum mit stilisierter Irisblüte und typografischem Markenschriftzug

Mit Wehmut blicke ich zurück auf den Lindenblütenklassiker schlechthin: Tilleul – das Original stammt aus dem Jahre 1915 und wurde 1995 von der Parfümeurin Olivia Giacobetti ganz sanft modernisiert. Die Version von 1995 konnte ich schnuppern und war sofort begeistert. Für mich war es der perfekte Lindenblütenduft, der so authentisch, so herrlich frühlingshaft-sommerlich und bezaubernd war. Leider wurde die Produktion des Dufts wie auch einiger anderer Klassiker der Marke eingestellt. Es gibt zwar bei D’Orsay ein Eau de Toilette, das an Tilleul angelehnt sein soll, allerdings ist es mir bislang noch nicht begegnet und daher kann ich auch keine Aussage darüber treffen, ob es genauso wundervoll ist wie die Version von Olivia Giacobetti aus dem Jahre 1995.

Wir beginnen mit: Tonka Hysteria

Jahreszeitlich deutlich passender als die Lindenblüte ist die Tonkabohne, die Protagonistin und Namensgeberin von Tonka Hysteria ist. Die Ingredienz ist mittlerweile zum It-Piece der olfaktorischen Gewürzfraktion mutiert und findet mehr und mehr Einzug in die Welt der Nischendüfte. Nicht als schmückendes Beiwerk, sondern als Star der Komposition. Velvet Tonka von bdk Parfums, Soleil Tonka von Chambre52, Tonka Bodycon No.31 von Pierre Guillaume, Tonka Sublime von Houbigant sowie Tonka Cola und Ombre Tonka von Mancera sind nur einige Beispiele von Düften, in denen das Gewürz in den letzten Jahren zum Einsatz kam. Weitere Tonkabohnen-Düfte findet ihr hier.

Der Parfümeur Jordi Fernández war für die olfaktorische Umsetzung von Tonka Hysteria von D’Orsay verantwortlich, der hierfür Mandarine, rosa Pfeffer, Weihrauch, Zimt, Iris, Maiglöckchen, Tonkabohne, Benzoeharz und Vanille miteinander vereinte. Sein Ziel war Folgendes: „Ich wollte ein Parfüm kreieren, das das Gefühl der Liebe auf den ersten Blick einfängt. Mein Ausgangspunkt war die Kombination zweier der sinnlichsten und anziehendsten Inhaltsstoffe aus der Palette eines Parfümeurs: Vanille und Tonkabohne.“

Flakon von ORSAY Tonka Hysteria Extrait de Parfum, umgeben von stilisierten Irisblüten vor tiefgrünem Hintergrund

Wie duftet Tonka Hysteria von D’Orsay?

Pfeffer, Zimt und Weihrauch lassen den Auftakt von Tonka Hysteria dunkel, würzig, dezent scharf und rauchig-kühl erscheinen, begleitet von der spritzigen Hesperidenherbe der Mandarine, die für fruchtige Frische sorgt. Doch alsbald schon nehme ich die Protagonistin wahr. Die Tonkabohne lüftet ihren wohlig-würzigen Schleier und offenbart die typischen heu-artigen Cumarinnoten, die in eine helle Mandelcreme gehüllt sind. Die Iris verleiht dem Duft zart-erdige Puderakzente, die von den fließend-geschmeidigen Nuancen von vanillig-weichem Benzoeharz untermalt sind. Herrlich!

Wie viel Hysterie steckt wirklich in Tonka Hysteria?

Glücklicherweise gar keine. Tonka Hysteria von D’Orsay ist ein unglaublich entspannter, sanfter, ja fast schon meditativer Gewürzduft, der wohlig-cremige und gourmandig-würzige Nuancen miteinander verbindet. Sehr rund, sehr harmonisch, in sich ruhend ist das Extrait de Parfum perfekt für alle, die süßlich-würzige Kreationen rund um die Tonkabohne bevorzugen. Weihrauch, rosa Pfeffer, Zimt und Mandarine sorgen für einen spannenden Auftakt und geben schließlich den Weg frei für die mandelig-vanillige Tonkawürze, die in dieser Form wirklich lange auf der Haut erhalten bleibt. Die Haltbarkeit ist also ausgezeichnet, die Präsenz würde ich als mittel einstufen. Ein alltags- und bürotauglicher Duft für die kühlere Jahreszeit, der bestimmt einige ob seiner Schönheit um den Verstand bringt.

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Julia Biró Verfasst von:

Bereits 2010 gingen so einige Blogbeiträge auf mein Konto. Dann war ich „kurz“ weg – sechs Jahre. Umso mehr freut es mich, dass ich nun wieder die Chance bekomme, mein Näschen im Dienste der Duftrezension schnuppern zu lassen und eifrig in die Tasten zu hauen. Was Nischendüfte angeht, habe ich damals übrigens schnell Feuer gefangen. Meine Ausbildung tat dazu ihr Übriges: Als diplomierte Biologin kenne ich mich nicht nur mit Fauna und Flora, sondern auch recht gut mit der Herstellung von Ölen und Extrakten aus, was den Reiz der Parfumwelt natürlich noch größer macht.

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