Bravo, liebe Bravo …

… das habt Ihr ganz hervorragend gemacht! Ich dachte schon, ich sei alt und habe einige Trends verschnarcht, kenne mich nicht aus mit den neuen Modewörtern und überhaupt … Aber Ihr habt ganz anschaulich bewiesen, dass Ihr es auch nicht (mehr?) drauf habt – und, wie es in Internetzeiten üblich ist, dafür auch einen ordentlichen Shitstorm abbekommen.

Was ist passiert? Die Bravo hat sich mit einem netten kleinen Artikel namens „So fällst Du Jungs auf: 100 Tipps für eine Hammer-Ausstrahlung!“, der für ihre weiblichen Leserinnen gedacht war, komplett verhoben. Warum? Lest selbst – der Artikel ist mittlerweile schon gelöscht, findet sich aber im Internet-Cache noch. Ich zitiere mal meine Favoriten unter den Tipps:

Winking Woman

4 Rasiere regelmäßig Deine Beine und Achseln. Girls, die sich gut pflegen, wirken sexy auf Jungs. Sie mögen es, wenn ein Mädchen sich Mühe mit ihrem Aussehen gibt.

5 Viele Jungs stehen auf frische Girlwangen. Benutze immer Rouge – das wirkt gesund und sexy auf Typen!

8 Schmink Dich jeden Tag anders. Wer immer gleich aussieht, wird irgendwann unsichtbar für Jungs.

18 Ahme seine Gesten nach: Lehnt er sich nach rechts, lehnst Du Dich ebenso in die Richtung, stützt er den Kopf auf die Hände, machst Du das auch. Dadurch nimmt er Dich unterbewusst als total sympathisch wahr.

20 Der Klassiker: Stolpere in Deinen Schwarm hinein. Entschuldige Dich überschwänglich bei ihm. Er wird Dich total niedlich finden, weil Du ein kleiner Tollpatsch bist.

21 Guck ihn an. Guckt er zurück, wende Deine Augen ab. Er wird sofort wieder versuchen, Deinen Blick zu erhaschen, weil Du so sexy, unerreichbar und geheimnisvol wirkst.

29 Tu für eine Weile so, als wäre Dein Schwarm Luft. Mach das aber so, dass er es merkt. Deine Ablehnung wirkt wie ein Magnet auf ihn.

35 Stehst Du auf dem Schulhof oder an der Bushaltestelle, dann überkreuz mal Deine Beine. Diese Pose lieben Star-Girls, weil sie schlank macht und sexy wirkt!

38 Guck Jungs eher immer leicht von unten an . Das wirkt am süßesten auf Typen!

51 Zieh nie zwei Tage hintereinander dieselben Klamotten an. Jungs fallen nur neue Eindrücke auf!

56 Style Dich bloß nicht zu sexy. Tiefe Ausschnitte und superkurze Röcke kommen in Jungsaugen eher schlampenhaft rüber.

57 Imitiere seinen Style! Dein Schwarm trägt am liebsten Grün? Zieh Dir auch grüne Sachen an. Die stechen ihm viel mehr ins Auge als andersfarbige Teile.

59 Es müssen keine 10-cm-High-Heels sein. Aber ein leichter Absatz verleiht Dir einen wogenden Gang, der die Blicke der Jungs einfach magisch anzieht, weil er so selbstbewusst und sexy wirkt.

65 Schaff durch Dein Styling Nähe zu Deinem Traumjungen. Er steht auf eine bestimmte Band? Leg dir ein Shirt der Band oder ein Schlüsselband mit ihrem Bandlogo zu – das lässt Dich cooler auf Jungs wirken!

71 Löcher und Risse in Deiner Jeans verwandeln Dich in Jungsaugen nicht nur in ein besonders untussiges Exemplar von einem Girl. Da sie Deine Haut durchblitzen lassen, wirkst Du damit extrem sexy!

87Mach Dich rar! Beantworte nicht jede SMS, die ein Junge Dir schickt. Es macht Dich total spannend, wenn er um Deine Gunst kämpfen muss!

90 Wirf einen Schneeball zu einer Gruppe Jungs und grinse frech rüber. Das zeigt, dass Du mit voller Absicht flirtest. Typen lieben es, wenn ein Girl auch mal die Initiative ergreift!

95 Mach spontane Dates mit Wow-Effekt! Schick eine SMS an einen Jungen mit: „Ich hol mir einen McFlurry. Lass alles liegen und leiste mir an meinem Tisch Gesellschaft.“ Das wirkt total cool und selbstsicher – dabei aber immer noch sehr charmant!

98 Geh mit Sätzen wie „Du wirst sicher oft angesprochen“ oder „Du erinnerst mich an …“ (Name eines heißen Stars) auf ihn zu. Diese versteckten Komplimente lassen Dich nicht zu aufdringlich wirken, bezaubern ihn aber schlagartig.

99 Stell ihm eine auf dich bezogene Frage, z.B. „Findest Du, mir steht dieser Mantel?“ Durch diese Frage bewirkst Du, dass der Typ sich total geschmeichelt fühlt. Außerdem erscheinst Du sehr mutig und selbstbewusst, weil Du Dich seiner Kritik stellst.“

Und, ganz wichtig und vielleicht, ganz vielleicht, ein bisschen unerwartet als Abschluss dieser Auflistung:

100 Sei Du selbst! Bei jedem Kontakt mit Jungs ist das die wichtigste Ausstrahlungsregel. Wenn Du Dich nicht verstellst, bist Du total umwerfend.“

Der erste und einzige Tipp, den ich meinem Kind, hätte ich den eines, mit auf den Weg geben würde …

Gut, gut, liebe Bravo: Ich sehe es ja ein, Ihr müsst Euch der Teenie-Sprache anpassen, was auf mich als Nicht-Mehr-Ganz-Teenager komisch bis bizarr wirkt. Aber müsst Ihr wirklich permanent von „Schlampen“, „süßen Girls“ und „Sexyness“ sprechen? Überhaupt finde ich es extrem befremdlich, dass „Sexyness“ heutzutage bei Mädchen ab … ich weiß nicht … 9, 10, 12 Jahren einen solch großen Stellenwert hat, was mir vor allem auf der Straße auffällt: Während unsereins damals noch in irgendeiner Hose und irgendeinem Pulli herumgelaufen ist (ok, vielleicht von einer Marke, aber …) muss alles, wirklich alles heute körpernah, vielmehr körperbeton sein. Eng und am besten wenig, das ist die Devise. Und wenn die lieben Kleinen dann etwas älter sind, so ab 15, 16 etwa, dann muss der Körper natürlich trainiert sein. Schminke darf natürlich nicht vergessen werden, siehe oben.

Einmal abgesehen davon, dass hier kleine Mädchen einen auf „sexy“ machen sollen, wirken die Tipps im Gegensatz dazu, wenn nicht einfach nur peinlich, dann oft genug höllisch antiquiert und verdächtig nach 50er Jahre-Frauenbild: Eine Frau muss hübsch anzusehen sein, immer und in jeder Lebenslage. Ansonsten sollte sie … gute Laune verbreiten. Und am besten noch gut kochen können.

Chapeau, wenn das Zentralorgan der Jugend (ist sie das noch, die Bravo?!) in dieses Horn tutet!

Teenagern stößt der Artikel Gott sei Dank auch komisch auf, was der 16jährige Kolumnist „Der Pubertant“ auf der Stern-Seite in einer seiner Kolumnen zum Ausdruck bringt – seht hier.

Auch andere Medien haben sich über den Bravo-Artikel ausgelassen, so zum Beispiel Vice, N.TV (Bravo rät Mädchen zur Unterwürfigkeit – Lebensziel? Den Männern gefallen!), Bild, Spiegel und viele mehr. Die TAZ brilliert mit einem (nicht ganz ernstzunehmenden) Gegenvorschlag für die „Boys“ – „So klappt’s garantiert!“.

Und von der Seite der Bravo gab es selbstredend schon eine Stellungnahme, siehe hier – die Quintessenz:

„Kritik ist, dass wir ein rückständiges Frauenbild transportieren. Tatsächlich sind einige der Tipps absolut unglücklich, und insgesamt genügt der Beitrag nicht dem Qualitätsanspruch, den wir an uns selber stellen. Hierfür möchten wir uns ausdrücklich entschuldigen. Wir stellen uns dem Vorwurf und werden in diesem Zusammenhang in einen offenen Dialog mit unseren Kritikern sowie Fachleuten treten.“

Einmal Nachsitzen bitte – das unterschreibe ich glatt.

Viele (semi-)amüsierte Grüße,

Eure Ulrike.

Bildquelle Vorschaubild: Joseph Francis „Winking Woman“ via Flickr – CC BY-SA 2.0

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Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

2 Kommentare

  1. Margot
    19. Juli 2015
    Antworten

    Hahahahaaa, danke liebe Uli!
    Leider, leider, bin ich aus dem BRAVO-Alter schon lange raus, aber die Tipps sind wahrlich der Hammer! Vieles wußte ich ja schon, aber das mit dem Band-T-shirt – wirklich genial! Werde sofort schauen, ob ich von Dieter Thomas Kuhn und Band eins auftreibe und dann bin ich ganz gewiss DER Anziehungspunkt! 😀
    Nochmals vielen Dank an Dich und Dein aufmerksames verfolgen von Kultur aller Art!
    LG, Margot

  2. 25. Juli 2015
    Antworten

    Hat sich denn nicht Regine in weiser Voraussicht an die Ratschläge der Bravo gehalten: http://www.zeit.de/1955/32/die-liebe-ueberbietet-fort-und-fort-sich-selbst ? Und damit krisenfest Einzug ins Herz der Philosophie- und Theologiegeschichte gehalten? Erst umspielte sie am Piano des Mannes Herz mit „bedeutungsvolle[m] Blick“ und zeigte als „süß verträumtes Kind am Fenster“ sich, mit „treuem Gemüt“ stand sie sodann ihm zur Stelle (obs. homo mensura), und einzig weil sie ihm nie „mein“ wurde, diesem ew’gen Zweifler, scheiterte ihrer beider Glück. Oder mißversteh‘ ich da die Rollen, die zu Zweisamkeit und Geborgenheit führten? Ach wenn sie nur der Bravo über alle Lebensabschnitte hinfort gefolgte wäre/n?

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