Love will tear us apart

Hatte ich schon einmal erwähnt, dass ich zu Jugendzeiten ein Waver war? Der eine oder andere wird damit jetzt etwas anfangen können, für ein paar Leser allerdings dürften das böhmische Dörfer sein, deshalb lasst es mich kurz zusammenfassen: Klein-Ulrike, inmitten der Pubertät, die ja bekanntermaßen zu den eher anstrengenden Krankheiten gehört, auf Sinnsuche. (Zu) Sich selbst finden – was ein Leben lang Konjunktur hat trieb mich in zartem jugendlichen Alter in die sogenannte „Schwarze Szene“: Schon damals hegte ich eine Vorliebe für Baudelaire und Konsorten, jene Dekadenzdichter fanden sich für mich musikalisch und auch sonst wunderbar wieder bei den „Gothics“.


Depeche Mode – Never Let Me Down Again (12… von Dmode59

Wikipedia weiß eine ganze Menge zu jener vornehmlich schwarzgewandeten Subkultur, vielmehr: jenem „soziokulturellen Milieu“, das, selbst homogener Natur, sich aus Teilen verschiedener Subkulturen zusammensetzt und sich überwiegend über Musik, Mode, Kunst und Literatur definiert. Alles in allem könnte ich eine ganze Menge dazu erzählen, zu Einstellung, Differenzen, eigenartig engstirnigen Vorurteilen der damals Erwachsenen (wie immer…), jede Menge Schwänke und Kalauer aus jener so umtriebigen Zeit, die mich in ungefähr alle Winkel der Republik führte. Denn – gute Veranstaltungen und Clubs waren rar gesät, so reiste man in schöner Regelmäßigkeit am Wochenende lange Strecken, um unter den ersehnten Gleichgesinnten in einem angesagten Laden zu landen und sich langsam zur stets eher traurigeren Musik mit Interpreten wie Depeche Mode, The Cure, Siouxsie, den Sisters und den Fields im Gleichschritt „drei Schritte vor und drei zurück“ zu wiegen, wie ein szene-interner Insiderwitz ganz richtig skizziert.

So unterschiedlich die Menschen, die Musik- und Kleidungsstile dieses überraschend vielfältigen Häufchens der Gruftis auch sein mögen – eines war ihnen wirklich so gut wie allen gemein, etwas, das mich noch Jahre später verfolgen sollte: Die Liebe zu Patchouli, am besten in Reinform ergo: echtes Patchouliöl. Stille Tage im Klischee mag sich der eine oder andere denken – es ist auch wirklich erbärmlich theatralisch und furchterregend stereotyp: Die ewigen Melancholiker in ihren schwarzen Kitteln mit ihrer Vorliebe für Friedhöfe und Untergangslyrik – was anders als Patchouli hätte es denn sein können? Die Schwaden jenes Krautes umwaberten mich also dauerhaft, ich inhalierte sie jahrelang mehr oder minder gewollt.

Und konnte, ihr werdet es ahnen, deshalb nach dem langsamen Übersegeln ins – ich weiß nicht, Erwachsenenalter?! … natürlich keines mehr riechen. Patchouli lehrte mich das Laufen. Ich konnte ihn einfach nicht mehr ertragen, jenen krautig-erdigen, nass-modrigen Geruch. Überdrüssig war ich seiner, absolut.

Bis, ja bis ein Duft in mein Leben treten sollte, der mich wieder eines Besseren belehrte – Mazzolaris Patchouly. Eigentlich konnte es auch gar nicht anders sein – es musste ein Italiener kommen. Kein Engländer, sophisticated und sich in vornehmer Zurückhaltung übend. Nein, ein tiefer, kantiger, wollüstiger Italiener.

Mazzolaris Patchouly vereinigt alle Facetten, die jenes Kräutlein bereithält in einer einzigartigen Weise: Jene erdige Nässe samt dunklen minzigen Laubs in Verbindung mit trockenem altem verwittertem Holz, jene schwer zu erfassende Süße, die sich hier herausragend pudrig-samtig präsentiert und von goldenem Honig unterlegt wird, sanft von Gewürzen akzentuiert. Patchouly erscheint mir immer von der Konsistenz her so dickflüssig wie ein gezuckerter Likör zu sein, so prominent ist die güldene, anisartig anmutende Honigsüße.

Bei all jener frohlockenden Wärme wohnt der Süße, dem Duft aber auch jener Hauch Moder inne, welcher für Patchouli so charakteristisch ist. Eine Facette, die hier aufs zivilisierteste interpretiert und verpackt wurde, den Duft deshalb auch tragbar macht für Patchouli-Zögerer. Aber eine, die eben trotzdem sinnbildlich für eines jener großen Themen steht, das die Menschheit bewegt und das den Patchouli wahrscheinlich auch gerade deshalb so attraktiv für oben erwähntes Klientel machte: Vergänglichkeit, die Kehrseite jeder Schönheit, jedes schönen Momentes, des Alters und des Älterwerdens. Die Erkenntnis, die Zeit nicht aufhalten zu können, nicht(s) konservieren zu können – entgegen jeglichen Wunsches, jeder gehegten Hoffnung, wie sich in Nietzsches Zarathustra in folgenden schönen lyrischen Worten wiederfindet:

O Mensch! Gib acht!
Was spricht die tiefe Mitternacht?
„Ich schlief, ich schlief -,
Aus tiefem Traum bin ich erwacht: –
Die Welt ist tief,
Und tiefer als der Tag gedacht.
Tief ist ihr Weh -,
Lust – tiefer noch als Herzeleid:
Weh spricht: Vergeh!
Doch alle Lust will Ewigkeit -,
– will tiefe, tiefe Ewigkeit!“

Nebenbei bemerkt im übrigen für mich eine der schönsten Visionen, einer der schönsten Beweggründe, den einmal ein sehr bekannter Parfumeur äußerte – war es Ropion, Roudnitska?: Glück festzuhalten. Einen Moment absoluten Glücks olfaktorisch zu bannen und somit immer wieder abrufbar zu machen.

Haach… In jedem Falle war Mazzolaris Patchouly der Beginn einer altbekannten, aber trotzdem neuen Liebe – es wohnen mittlerweile auch Lutens Borneo 1834 und einige andere Patchouli-Genossen hier bei mir.

Einen schönen Tag Euch allen –

Eure Ulrike.

Bildquelle: Ich als Model für ein Gothic-Magazin im zarten Alter von 17 – und natürlich stolz wie Oskar 😉 Darüber hinaus: Grabstelle Friedhof Sankt Marx / Wien von Zyance via Wiki Commons, some rights reserved – vielen lieben Dank!

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Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

6 Kommentare

  1. margot
    29. Dezember 2010
    Antworten

    Liebe Uli,
    als erstes: Schönes Bild! Hab mir schon gedacht, dass Du das bist bevor ich unten Deinen Quellennachweis gelesen habe. Echt klasse!
    Zweitens: Patchouli ….. jaaaa, da war ich Anfang der 70ern des vergangenen Jahrhunderts noch etwas früher dran als Du, auch ohne Gothic-Szene. Wir sind im Kerzenlicht gesessen und haben uns Gruselgeschichten erzählt 🙂
    Aber wie Du so schön sagst, irgendwann kann man ihn nicht mehr riechen und es bedarf einiger Anläufe, um sich wieder mit Patchouli olfaktorisch zu beschäftigen und sich auf einen einzulassen. Ja, den Mazzolari finde ich auch sehr schön doch liegt mir die Honignote nicht wirklich. Dann doch lieber einen trockeneren, herben Patchouli wie, ja, Borneo 1834 oder Thundra von Profumum oder den von Bois 1920.

    Liebe Grüsse,
    Margot

    • Ulrike
      3. Januar 2011
      Antworten

      Vielen Dank Margot für das Kompliment 🙂

      Jaja, der gute Patchouli war eben zu gewissen Zeiten omnipräsent – bin wohl wie man hier sieht nicht die einzige, die ihn nur in homöopathischen Dosen ertragen kann 😉
      Allerdings sind bei mir auch mehr Patchouli-Düfte auf Gefallen gestoßen und eingezogen, als ich es mir hätte vor einigen Jahren träumen lassen. Thundra mag ich natürlich auch gerne und der Nicolai-Patchouli ist schon seehr seehr schön Christian! Mal sehen, was da noch kommt 😉

      Liebe Grüße an Euch alle,

      die Uli.

  2. Christian
    30. Dezember 2010
    Antworten

    Liebe Uli, liebe Margot,
    genau: auch für mich sind die (bei mir eher späten) 70er noch mit wabernden Patchouli-Schwaden verknüpft, gerade heute habe ich den Villoresi-Patchouli genommen und denke: irgendwie geht das nicht mehr, zumindest nicht mehr als 1 Tag. Ganz anders dagegen bei meinem Patchouli-Liebling, den 2009er von Frau Nicolai (o.k., ich mag halt einiges aus diesem Haus), ebenfalls trocken und herb und sehr sophisticated…

    Beste Grüße
    Christian

  3. Almut
    30. Dezember 2010
    Antworten

    mazzolaris patchouli, oh ja, in der tat einer der schönsten überhaupt! nicht unerwähnt möchte ich aber auch montales patchouli leaves lassen, fast schon schokoladig mutet dieses erdige düftchen an. tragen kann ich ihn allerdings nur an ganz besonderen tagen, wie alle anderen patchoulis ebenso. auch mir ist diese duftnote meist einfach zu viel.

    ganz liebe grüße
    almut

  4. caro
    13. Juli 2012
    Antworten

    @ All, weil heute im Blog das Patchoulithema hochkam, möchte ich meinen Favoriten nicht unerwähnt lassen: Keiko Mecheri – Patchoulissime. Für meine Nase ganz und gar nicht erdig oder gothic. Angenehm für die Umgebung, hautnah, super Qualität, leicht, sympatisch und er macht mir den Kopf frei! Ich habe schon gedacht, mit welchen anderen Nuancen ich ihn layern könnte, dazu eignet er sich m. E. auch. Er transportiert für mich gute Stimmung und dürfte bei passender Gelegenheit wohl auch einem „Mann“ gut stehen. Schönes WE und lG Caro

  5. Avatar photo
    Ulrike
    16. Juli 2012
    Antworten

    Mecheri habe ich in der Tat auch als schönen Patchouli in Erinnerung, es ist aber wirklich laaange her, dass ich in das letzte Mal getestet habe. Das wäre aber mal wieder eine Nase wert *notier* Danke für den Tipp!

    P.S.: Das mit dem Mann zum Duft kann warten, oder? 😉

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